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Deutschland (Winterzeit) | Kolumbien
Winter 2022 / 23
16. Bericht – 16.02.2023
Das zwischen Pazifik und Karibik an der Nordspitze Südamerikas liegende Land – Kolumbien – heißt es nun zu erkunden.
Medial ist man auf ein von Rebellen und Drogenkartellen gebeuteltes Land eingestellt, doch es hat sich viel getan in den letzten Jahren, das typische Klischee ist fast vergessen. Gefährliche Gebiete sind meist lokal eingrenzbar, dennoch ist überall Vorsicht und Umsicht geboten. Vor allem durch die hohe Kriminalitätsrate ist die Gefahr Realität und zwingt uns zu einem für uns ungewohnten Reisestil. Statt einen idealen und idyllischen Standplatz in der Wildnis oder eine abseits der Touristenpfade anvisierte Strecke anzusteuern, muss jetzt erst die Sicherheitslage abgecheckt und ggf. auf bewachtes Terrain bzw. eine sichere Strecke ausgewichen werden. Lästig, aber wohl unumgänglich.
Das alles ist uns bereits vor der Ausreise aus Ecuador bewusst. Diese gestaltet sich übrigens als die bisher zeitaufwändigste, die wir je erlebt haben. Viel Geduld wird von den Grenzgängern abverlangt. In einer immer länger werdenden und sich kaum vorwärts bewegenden Menschenschlange stehen wir uns die Beine in den Bauch. Dann endlich geschafft – 2 weitere Stempel suchen in dem immer voller werdenden Reisepass einen Platz und erlauben uns einen 3-monatigen Aufenthalt.
10 km von der Grenze entfernt, nahe Ipiales, schweben wir tags darauf von der Gondelstation Las Lajas zur berühmten, wohl beeindruckendsten und als eine der schönsten nominierten Kirche der Welt, Santuaria Las Lajas. 100 m über dem Fluss Guaitara thront sie inmitten eines Canyons. Eine mächtige Brücke verbindet diese römisch-katholische Basilika im neogotischen Stil mit der gegenüber liegenden Talseite. 1 Mio. Dollar haben Kolumbien und Ecuador durch Spenden und Gelübde für diesen spektakulären Bau, der 1949 fertig gestellt wurde, aufgebracht. Berstend voll bis hinaus auf den Vorplatz ist heute die sonntägliche Messe und lässt leider keine Besichtigung des Kircheninneren zu.
Nach einer regenreichen Nacht passieren wir u.a. die Laguna Cocha, die Dörfer Pedregal und El Encano. Immer öfters findet nun die Sonne eine Lücke durch die graue Wolkendecke und bringt die fruchtbaren Hänge und Bambushaine zum Leuchten. Zebu-Rinder, meist in Begleitung der weißen Zwergreiher, grasen im satten Grün. Diese für uns merkwürdig aussehenden Rinder stammen ursprünglich aus Afrika und sind an große Hitze und Trockenheit gewöhnt.
Die Strecke Cali – Popayán, einst durch Guerilla berüchtigt, ist heute durch die hohe Polizeipräsenz sicher. Auch wir werden oft, meist von freundlichen Polizei- oder Militärposten, zur Autopapier- und Passkontrolle angehalten. Aufgrund der Sicherheitslage müssen wir dennoch auf einen schönen Standplatz an einem Fluss verzichten. Zum 1. Mal wird uns bewusst, dass wir in diesem Land nicht mehr so wie bisher reisen können. Die nächsten Tage verbringen wir stattdessen auf der bewachten Grünfläche eines Restaurants. Erfrischend ist der große Pool bei diesen heißen Temperaturen, den wir für uns ganz allein haben. Auch nicht schlecht!
Das charmante Städtchen Popayán trägt seinen Namen „weiße Stadt“ zu Recht. Schneeweiß getüncht sind die Häuserfassaden, schön die Kolonialgebäude, die Basilika mit ihrer Kuppel und der zentrale Platz mit den schattenspendenden Palmen. Berühmt ist die aus London stammende Uhr mit nur einem Zeiger. Ebenso die kleine gepflasterte Brücke aus dem 18. Jh., die eigens für die Priester gebaut wurde, damit diese die Elendsviertel aufsuchen konnten. Der ehemalige Hauptzugang, die 200 m lange und 11-bögige Brücke befindet sich direkt daneben. Auch der kulinarische Genuss kommt nicht zu kurz. Die mit Schinken und Käse gefüllten und mit knusprigen Kartoffelspänen dekorierten Arepas sind ein Maßstab für alle weiteren. Enttäuscht stellen wir später immer wieder fest, dass diese die besten waren.
Auf schmaler Piste mit großen Steinen und tiefen Bodenwellen werden wir auf dem Weg durch das Pance Tal durchgeschüttelt. Heftige Gewitter mit Starkregen haben den Gebirgsbach anschwellen lassen. Chillen auf den gewaltigen Felsblöcken und untertauchen in einem der zahlreichen Gumpen – leider unmöglich. In der Reserva Anahuac finden wir einen schönen Übernachtungsplatz.
Die Haupt- und Überlandstraßen sind in einem guten Zustand. Doch dafür wird man auch ordentlich zur Kasse gebeten. Alle ca. 100 km zwischen 2,50 – 4 Euro. In keinem bisherigen Land war die Straßennutzung so teuer. Der billige Diesel (50 – 60 Cent) macht das einigermaßen wett. Eine Mautstelle, mit Parolen verschmiert und abgefackelt, zeigt die Wirkung von Protesten – sie ist unbesetzt. Trotz vieler Polizeiposten hält sich kaum jemand an Überholverbote und Geschwindigkeitsbegrenzungen. Aggressiv ist der Fahrstil. Viel wird gehupt, nervig an Ampeln, noch bevor sie auf Grün umschalten.
Kaum einen Blick können wir auf den Lago Calima erhaschen. Alles ist umzäunt, von Villen umbaut. Wir fühlen uns an den Genfer See in der Schweiz erinnert.
Hier sind die Menschen Frühaufsteher. Schon früh morgens rauchen Grillfeuer entlang der Straßen und verbreiten einen appetitanregenden Geruch.
Im Morgendunst, von Wolkenschleiern eingepackt, liegen die Anden vor uns. Gewaltige Bäume mit ausladenden Kronen bilden schattenwerfende Alleen, vor allem für die am Straßenrand noch schlafenden Flüchtlinge. Familien mit kleinen weinenden Kindern im Schlepptau sind unterwegs. Meist sind es Venezolaner auf der Suche nach einer besseren Perspektive. Der Kinderwagen ist überfüllt mit ihrem Hab und Gut. Es ist so deprimierend! Die 33 Grad bereits morgens um 9 h verheißen hier im brettflachen Tiefland zwischen 2 Kordilleren einen erneut schwülheißen Tag. Reis- und Maisfelder, soweit das Auge reicht, machen die Strecke relativ eintönig.
Auf einem Spaziergang entlang des Río Cauca nahe des Lago Sonso entdecken wir die schon lange nicht mehr gesehenen Sittiche. Man hört sie, bevor man sie sieht. Die ca. 80 cm lange, daumendicke, grünfarbene Casadora / Jägerin schlängelt sich über unseren Köpfen. Diese ist ungiftig, doch es gibt auch andere hier. In Symbiose leben Ameisen und Wespen und bauen ihre Nester nah beieinander.
Nun geht es hinauf in die kühlen Berge, in die üppig grüne Kaffeeregion. Wir durchqueren schöne Berglandschaften mit Kakao- und Papayapflanzungen, Orangenhainen, bunten Blumen und Bäumen und den riesigen Kaffeeplantagen, die sich teils im Schatten von Bananenstauden über steile Hänge hinaufziehen. Dazwischen liegen pittoreske und urige Dörfchen mit ihren farbenfroh bemalten kleinen Häusern. Wir schlendern durch Córdoba, Buenavista und durch das malerische Dorf Salento mit der typischen Architektur der Kaffeezone und genießen den hiesigen Kaffee.
Auf der Kaffeefinca Recuca mit ihrem weitläufigen Gelände erfahren wir anschaulich den gesamten Prozess der Kaffeeproduktion von der Aussaat bis zur Röstung, dem Export, den Kaffeebaronen, den Anfängen und Arbeitsbedingungen um die Jahrhundertwende. Dieser kolumbianische Hochlandkaffee gehört mit zu den besten Kaffeesorten der Welt. Nur die beste Bohne ist für den Export bestimmt, die Bevölkerung muss mit der zweitbesten Sorte Vorlieb nehmen. Finnland steht übrigens an 1. Stelle der Konsumliste, während Deutschland sich auf Rang 8 bewegt. Nach einer genussvollen Tasse, die man wie bei der Weinverkostung zu sich nimmt – so erklärt man uns – und einem landestypischen Mittagessen ist das magische Cocora-Tal unser nächstes Ziel.
Immer weiter geht es hinauf in die Berge. Schlechtes Wetter kommt auf. Es regnet. Dieses Tal zählt zu den landschaftlich eindrucksvollsten Orten des Landes. Hier im Nationalpark Los Nevados, und nur hier, lässt sich der Nationalbaum Kolumbiens im Schatten der mächtigen Berge bewundern. Bis zu 60 m hoch ragt diese höchste Wachspalme der Welt gen Himmel und präsentiert sich heute in mystischem Licht.
Die Gegend um Mariquita ist für seinen Mangoanbau bekannt. Übervoll hängen die großen Mangabäume mit erntereifen Früchten. Von den gelbfleischigen, zuckersüßen, aromatischen Mangas direkt vom Baum können wir nicht genug kriegen. Die noch unreifen und kleineren Mangos werden erst in ein paar Wochen geerntet.
Die Kleinstadt Mariquita ist laut, hässlich, dreckig. Überall in finsteren Ecken lungern heruntergekommene Gestalten. Allein von den Cannabiswolken könnte man high werden. Doch offensichtlich ist nur damit für viele diese unübersehbare bittere Armut, das Elend zu ertragen. Kein Gehör schenken wir einer aggressiv bettelnden jungen Mutter mit ihrem Säugling und „freuen“ uns nach diesem kurzen Zwischenstopp über einen zerstochenen Reifen.
Nachdenklich stimmt auch der Besuch der Gedenkstätte Armero. Bereits Ende des 16. Jh. wurde durch den 50 km entfernten Vulkan Nevado del Ruiz ein indigenes Dorf, 250 Jahre später eine engl. Siedlung vollständig ausgelöscht. Doch die schlimmste Katastrophe ereignete sich mit mehr als 23.000 Opfern 1985, was eine weltweite Rettungsaktion auslöste. Eine vorhersehbare und vermeidbare Tragödie, vor der Geologen und andere Experten gewarnt hatten. Unvorstellbar die Gewalt der 30 m hohen Schlamm- und Schuttlawine mit 12 m/Sek., die alles auf ihrem Weg in diese Stadt zerstört, zerquetscht und unter sich begraben, 4200 Häuser, 2 Dörfer, 20 Brücken und einen ca. 50 Tonnen schweren Felsblock 16 km weit vor sich hergeschoben hat! Aufgrund zerstörter Straßen und instabilem Boden kam für das größte Massengrab aller Zeiten erste Hilfe erst 12 Std. später. 3 Tage lang war ein 13-jähriges Mädchen im Schlamm eingeschlossen und starb ohne gerettet werden zu können.
Gnadenlos sticht die Sonne, jetzt um die Mittagszeit, auf das Flachland. Das kleine Ambalena, bekannt für die einzigartige Säulenarchitektur, ist wie ausgestorben. Für die wenigen im Schatten Dösenden ist es, im Gegensatz zu uns, längst nicht der heißeste Tag.
Auf der weiteren Strecke in der bergigen Landschaft lässt ein flüchtiger Blick Heimatgefühle aufkommen.
In der landwirtschaftlich geprägten Bayonce Gegend wirken die großflächigen Weiden wie Parklandschaften. Am Straßenrand reihen sich Käseverkaufsstände. Doch unser Kühlschrank streikt, sodass nur ein kleiner Happen für die schnellen Gelüste über den Ladentisch geht. Schöne Blicke ergeben sich auf die Laguna de Fúquene, eines der größten Süßwasserreservate Kolumbiens.
Nach einem sonnigen Vormittag ist der Blick auf die Uhr überflüssig. Das sich alltäglich wiederkehrende Naturschauspiel bleibt uns auch heute nicht erspart. Die tiefhängende, schwarzgraue, immer dunkler werdende Wolke, die sich um die Mittagszeit vor uns auftürmt, entlädt sich sintflutartig und sorgt für Weltuntergangsstimmung. Kaum haben wir diese hinter uns, tauchen wir nach wenigen trockenen Kilometern in die nächste Regenfront ein. Flussläufe auf der Karte präsentieren sich als träge dahinfließende braune Brühen oder über die Ufer getretene reißende Fluten. Wir befinden uns am Ende der Regenzeit, die noch bis Mitte Dezember andauern wird.
Nun steht das nächste Highlight auf dem Programm: Bogotá, die Hauptstadt Kolumbiens, in der mittlerweile jeder 5. Kolumbianer lebt. Die „Mordhauptstadt“ der frühen 1990iger Jahre ist heute eine attraktive und pulsierende Millionenmetropole mit vielen Sehenswürdigkeiten und Universitäten. Vergleichbar in Lateinamerika lediglich mit Buenos Aires. Auf einem Hochplateau in der Landesmitte liegt diese Stadt umgeben von Bergrücken. Auf Umwegen gelangen wir zu unserem Hotel, in dem wir uns aus Sicherheitsgründen einquartiert haben. Ganze Straßenzüge, rund 120 km, sind sonntags den Radlern, Fußgängern, Joggern, Familien und Wandersleuten vorbehalten. Zwischen ultramodernen Hochhausgiganten befindet sich auch der höchste Wolkenkratzer des Landes. Ein Mix aus Moderne neben alter Architektur prägt das Straßenbild. Da es weder Metro noch S-Bahnen gibt, ist eine gesonderte Fahrbahn abgesehen von Polizei und Krankenwagen nur für die Busse, als schnellstes öffentliches Verkehrsmittel, bestimmt. Die teils stark veralteten Nahverkehrsbusse halten nicht nur an Stationen, sondern können durch Rufen oder Winkzeichen zum Ein- oder Aussteigen angehalten werden. Beliebt sind auch die zahlreichen günstigen gelben Taxis. Zusammen mit unserem Schwiegersohn in spe durchstreifen wir die quirlige Fußgängerzone vorbei an kunterbunten Verkaufsständen und Flohmärkten mit allerlei Nützlichem, viel Tand und Ramsch. Er führt uns durch die engen Gassen des farbenfrohen und lebhaften Stadtviertels Candelaria, der Altstadt Bogotás. Wir entdecken schöne Kolonialarchitektur und kunstvolle Murales. Rund um die Plaza Bolívar, dem zentralen Platz, reihen sich historische Gebäude wie das Rathaus, der Justizpalast, das Parlament und die zu den größten Kirchen des Landes zählende Catedral Primata Columbia. Tausende von Menschen und Tauben tummeln sich hier auf diesem gigantischen, baumlosen Platz. Laut geht es zu. Mit Trommeln und Trillerpfeifen demonstriert man heute gegen das von der Regierung verhängte Verbot der Hahnenkämpfe. In den südlichen Teil Bogotás, dem ökonomisch und kriminalitätstechnisch herausgefordertsten Teil der Stadt, teils mit Straßen, deren Verlauf selbst der Polizei unbekannt ist, trauen wir uns nicht.
Vom Hausberg Monserrate (3152 m), dem Wahrzeichen Bogotás, hat man einen grandiosen Blick und bekommt eine Vorstellung von der Dimension der 9 Millionen-Stadt und ihrem hügeligen Hinterland. Eine Gondel und eine Standseilbahn befördern die Menschenmenge hinauf zu der wichtigsten Sehenswürdigkeit der Stadt. Hier befindet sich die weithin sichtbare weiße Kirche, die von Souvenirständen und aneinandergereihten kleinen Lokalen umgeben ist.
Voller neuer Eindrücke verlassen wir die Stadt, über der nachts zuvor ein Gewitter getobt hat, wie wir es noch nie erlebt haben. Stundenlang ist der Nachthimmel von zuckenden Blitzen grell erleuchtet. Alarmanlagen der Autos springen an. Der morgendliche Berufsverkehr quält sich durch überspülte Straßen, in denen die Kanalisation an ihre Grenzen gerät. Das reinste Chaos! Am schnellsten kommen die Zweiräder voran. Wie es gerade passt, schlängelt man sich mit beachtlichem Tempo durch den dichten Verkehr. Krankenwagen kämpfen sich teils viel zu langsam durch die Blechlawinen. Wie viele Notfälle kommen dabei noch rechtzeitig im Krankenhaus an?
In Zipaquira wurde in einer ehemaligen Salzmine, 200 m unter der Erde, eine 3-schiffige Kathedrale gebaut. Eines der größten religiösen Bauwerke, die samt Ornamenten, Ikonen, monumentalen Kreuzen, menschengroßen Statuen und Figuren, Kronleuchtern und architektonischen Details komplett aus Steinsalz gemeißelt ist, was sie zu einer einzigartigen Stätte des Landes, wenn nicht sogar der Welt macht. Eine dezente Hintergrundmusik untermalt dieses Ambiente.
Auf einem erneuten Zwischenstopp denken wir ein Haus von Gaudí entdeckt zu haben, die Casa Terracotta, das Terrakottahaus bei Villa de Leyva. Der Architekt verbindet die 4 Elemente, Erde, Wasser, Luft und Feuer (2000) im Stil beeinflusst von Gaudí, zu einem ungewöhnlichen, skurrilen und hochinteressanten Bauwerk.
Weiter geht es nordwärts durch Gebirgslandschaft nach Villa de Leyva. Überdimensional groß ist der Hauptplatz – angeblich der größte in ganz Kolumbien – von dem kleinen beschaulichen, in einem Bergkessel idyllisch liegenden Kolonialdorf, das zu den schönsten Südamerikas zählt. In den kopfsteingepflasterten Gässchen mit den gekalkten Häusern in andalusischem Stil warten kleine Hotels, Restaurants, Cafés, Bars und Kunstgewerbeläden auf Touristen. Immer wieder begegnen uns rausgeputzte R4 und schöne Exemplare meines ehemals geliebten VW-Käfer.
Durch Kiefernwald, vorbei an 7 kleinen, sehr schwefelhaltigen Seen, wandern wir in der immer heißer werdenden Morgensonne durch das Naturreservat Pozos Azules.
Wir passieren Iza, die Laguna Totoa und machen Halt im Dörfchen Monguí, das von der Fußballherstellung lebt. Die historische Brücke aus dem 17. Jh. ist für viele ein lohnendes Motiv, um sich mit ihr abzulichten.
Im charmanten Kolonialdorf Barichara scheint wieder die Sonne und motiviert zu einem kurzen Spaziergang durch die Gassen mit den weißen und ockerfarbenen Häusern.
Schön ist die Strecke nach Bucaramanga durch eine teils enge Schlucht. Steile und ockerfarbene Berghänge sind dicht mit Kakteen und Agaven bewachsen. Die Hochwasser führenden Flüsse und Bäche kommen den ärmlichen Behausungen gefährlich nah. Ich beobachte spielende Kinder und das Herz bleibt mir schier stehen. Nur einen unbedachten Schritt mehr und es gibt keine Rettung aus den tosenden Fluten.
Immer wieder auf der Fahrt werfen wir einen Blick in den eindrucksvollen und spektakulären, meist im Nebel liegenden Chicamocha Canyon tief unter uns. Mit einer durchschnittlichen Tiefe von 2 km und knapp 230 km Länge zählt er zu den tiefsten weltweit.
In La Dorada, nach einem Schwätzchen mit einem Apotheker und „Wunderheiler“ – so bezeichnet er sich selbst – und seinem zelebrierten Segen für uns und den Camper, geht es weiter Richtung Medellín, in der Hoffnung, dass er was nützen möge. Dennoch, den unvermeidlichen Werkstattbesuch kann auch er nicht wegsegnen. Wir befinden uns auf der Strecke Ruta del Sol. Hinweisschilder entlang der Strecke weisen darauf hin, was hier im feuchtheißen Klima für Getier unterwegs ist. Schlangen, Leguane, Krokodile, Affen, um nur einige zu nennen. Gut vorstellbar beim Blick in diesen undurchdringlichen grünen Dschungel. Eine wunderschöne Smaragdeidechse taucht plötzlich vor uns auf. Giftgrün mit geringeltem Schwanz, ca. 60 cm groß. Zu schnell, um sie mit der Kamera festzuhalten. Angenehm war das Klima in Bogotá auf 2640 m. Jetzt 2200 m tiefer im Flachland machen uns wieder die saunaähnlichen Temperaturen zu schaffen.
Im netten Marsella wird gefeiert. Das ganze Dorf ist auf den Beinen. Während wir uns kurz in die kühle Kirche verziehen, wird in den Lokalen trotz Hitze ausgelassen getanzt.
Nachdem wir in Medellín eine Autowerkstatt angefahren haben und das notwendige Ersatzteil hier nicht aufzutreiben ist, geht es auf schnellstem Weg zurück nach Bogotá. Sämtliche Gummilager an der Vorderachse, Lager der Hinterachse müssen ausgetauscht werden.
Danach starten wir von Villavieja, einem kleinen Nest, in dem alles unter Wasser steht, in die Tatacoa-Wüste. Umgeben von einer grünen Wildnis präsentiert sich urplötzlich in rotem Farbton die Wüstenlandschaft mit ihren bizarren Gesteinsformationen, von Mutter Natur geschliffen. Darüber spannt sich eine fast schon unheimliche Stille und ein Himmel mit gleißend heißer Sonne. Selbst hier hat der Regen Spuren hinterlassen. Es ist die reinste Schlammschlacht. Die Erdstollen unter meinen Schuhen erhöhen meine Körpergröße um beachtliche Zentimeter und machen eine Entdeckungstour zu Fuß leider unmöglich.
Über Facatativa, Manizales erreichen wir erneut Medellín, die zweitgrößte Stadt Kolumbiens. Durch palmenbestandene Straßen in schönen Wohngegenden mit gepflegten Wohnanlagen und livriertem Wachpersonal, den Blick auf Hochhausgiganten und der Gondel über uns, die Metrocable, die als öffentliches Verkehrsmittel hinauf zu den Randbezirken schwebt, steuern wir auf das historische Zentrum zu. Dank des Feiertages hält sich ein Verkehrschaos in Grenzen. Außer dem Museum, dem Kulturpalast und der Plaza Botero hat der Altstadtkern nicht viel mehr zu bieten. Wir sind vor allem an den 23 überlebensgroßen und stämmigen Bronzefiguren, die der gleichnamige Maler und Bildhauer hier auf diesem Platz errichtet hat, interessiert. Um diese sehenswerten Menschen- und Tierskulpturen sehen zu können, müssen wir erst einmal um stinkende menschliche Exkremente einen Bogen machen. Unsicherheit zwingt uns, einen Kontrollblick auf den Stadtplan zu werfen, was den Ort bestätigt. So viele „fertige“ Typen, Bettelnde und all das Elend – ein völlig atypisches Bild für ein historisches Stadtviertel. Ein kunterbuntes Treiben, Touristen aus allen Herren Länder finden sich hier auf diesem Platz.
Unfreiwillig landen wir eine Querstraße weiter im Rotlichtmilieu. Eine düstere Bar neben der anderen. Aus jeder dröhnt unglaublich laute Musik, wir können uns nicht mehr verständigen. Und dann diese Damen! Wie groß muss der sexuelle Notstand sein, um sich mit ihnen zu vergnügen. Sicher hat Medellín mehr zu bieten, doch nach diesen Eindrücken ist unsere Motivation für weitere Erkundungen vergangen.
Uns zieht es nach Santa Fé. Wunderschön ist der Campingplatz mit eigenem Pool, lohnenswert der Bummel durch die kleine Ortschaft.
Nach 4 Tagen, auf der nun anstehenden Bergstrecke über Dabeiba, erwarten uns eine 20 km lange Baustelle, unzählige Erdrutsche, eingestürzte, unter- und überspülte Straßen. Nach dem Cañón de la Llorana, bis 2017 noch Guerillagebiet, passieren wir 2 indigene Reservate. Hat man die Statisten für die Karl May Filme hier rekrutiert?
Chaotisch ist die stark afrokolumbianisch geprägte Stadt Turbo. LKWs, Fahrradrikschas, Pferdefuhrwerke, Motorroller, die hier bis zu 5 Personen als Familienkutsche dienen, Trucks, Handkarren zwängen sich durch die dreckigen Straßen. Hunde auf dem Tank von Mopeds und Motorrädern lassen sich genüsslich den Fahrtwind durch das Fell blasen. Unglaublich laute Musik – die müssen alle hörgeschädigt sein – dröhnt aus jedem Geschäft, jeder Bar. Nicht nur das herannahende Gewitter hält uns von einem Rundgang durch diese armutsbetroffene und vernachlässigte Stadt ab. Überhaupt nicht einladend wirkt der authentische, aber schmuddelige und stinkende Fischmarkt mit seinen schmierigen Bars und zwielichtigen Absteigen.
Einen kurzen Zwischenstopp legen wir in Lorica ein. In den 1920ern entstanden hier durch clevere Geschäftsleute mondäne Gebäude in republikanischer und maurischer Art. Hervor sticht die Markthalle des Mercado Público, in bunter fantastischer architektonischer Umgebung mit orientalischem Charakter direkt am Fluss. Garköche bieten Frischfisch an und Kunsthandwerker haben hier ihre Pferdesattelstände.
In Nicolito stehen wir zum ersten Mal am Karibikstrand. Nicht gerade einladend, doch der Blick richtet sich über das hochgetürmte Schwemmgut am Ufer auf die unendliche Weite des Ozeans.
Mehrere Strände auf verschlammten Stichstraßen fahren wir an, u.a. die Playa Francés und Caño Dulce. Doch Karibik-Feeling will nicht aufkommen. Mit dem Strand unserer Träume müssen wir uns noch gedulden. Große Wasserflächen sorgen mit 89%-iger Luftfeuchtigkeit für fast unerträgliche Schwüle, spülen zwar Fische und Krabben vor die Haustüren der ärmlichen Behausungen, aber auch Müll und Kot. Unter diesen für uns unvorstellbaren Bedingungen scheinen die Bewohner zufrieden und fröhlich zu sein. Der Sonntagsbraten hängt an vielen der sich die Straße entlangziehenden Stände.
Nahe Tolú finden wir einen recht netten, doch schattenlosen Strandplatz. Das Wasser ist mit der badwarmen Temperatur (28°C) leider keine Erfrischung.
Ein Fahrtag, der geduldiges Sitzfleisch erfordert, bringt uns über Barranquilla und Santa Marta nach Palomino, zum Campingplatz Barnabé. Nun endlich haben wir „unseren Traumstrand“ gefunden. Karibikfeeling unter Palmen! Gewaltige Wellentürme kommen angedonnert, halten uns zwar vom Baden ab, doch Meeresrauschen, warmer weißer Sand unter den nackten Füßen, den Duft von Sonnenmilch in der Nase, den Blick auf die Weite und den strahlend blauen Ozean gerichtet und darüber ein Himmel, der die Farbe des Meeres widerspiegelt – herrlich! Da kann man ins Träumen kommen. Dieses Feeling – in einer Adventszeit ganz anderer Art! – werden wir jetzt ausgiebig genießen. Schnell ist klar, dass wir hier einige Tage bleiben werden.
Ganz besonders freuen wir uns auf den anstehenden Besuch unserer Tochter mit ihrem Verlobten. Zusammen unternehmen wir u.a. einen Ausflug zur Cascada Río Bonda. Nicht weit entfernt vom Öko-Dorf Minca wandern wir durch schattigen Wald die Schlucht hinauf zum Pozo Azúl, einem natürlichen Wasserbecken mit kleinem Wasserfall. Doch wir sind nicht die Einzigen, die es hierher zieht.
Die Straße weiter östlich nach Cabo de la Vela und zur Punta Gallina mit den über 50 m hohen ins Meer abstürzenden Sanddünen von Taroa ist leider gesperrt. Aufgrund von Raubüberfällen in den letzten Tagen mit 2 Toten müssen wir auf diesen Ausflug verzichten.
Bei klarem Wetter ist das höchste Küstengebirge der Welt, die Sierra Nevada Santa Marta, mit ihren auf 4800 m hohen Schneegipfeln von Palomino aus zu sehen. Schneekulisse auf der einen, das karibische Meer nur wenige Kilometer entfernt, auf der anderen Seite. Dazwischen weißsandige Strände mit Kokospalmen. Das kleine Dorf, das mit den vielen Hostels und Kunstgewerbeläden vor allem auf junge Rucksacktouristen eingestellt ist, versinkt zur Zeit schier im Schlamm. Unübersehbar sind die weiß gekleideten Männer und zierlichen, meist sehr jungen Frauen, Indígenas vom Volk der Kogui, die hier in den Wäldern um Palomino leben und auch am Strand vorbeikommen.
Auf dem Weg nach Cartagena machen wir in Santa Marta Halt. Hier dominiert der Tourismus. Aufgrund der großen Hitze, die unsere Aktivität lähmt, beschränken wir uns auf einen kurzen Rundgang durch die charmante Altstadt. Wir schlendern durch die engen Gassen, entlang bunter Kolonialhäuser, entlang des Naturhafens und der palmenbestandenen Uferpromenade mit einem schönen Blick auf das Felsenriff, El Morro. Die schneeweiße, leider geschlossene Kirche soll die älteste des ganzen Landes sein. Südlich der Stadt, vorbei an El Rodadero mit den beeindruckenden Bettenburgen, verlassen wir die Stadt.
Im Norden Kolumbiens, an der Karibikküste, soll mit Abstand die schönste Hafenstadt des Landes sein. Cartagena, die Perle der Karibik! Längst sind wir uns einig, dass hier unsere Reise noch nicht zu Ende sein wird. Die Reiselust ist auch nach knapp 60.000 km und 9 bereisten südamerikanischen Ländern noch nicht gestillt. Eigentlich liegt nur eine Tagesreise zwischen Cartagena und Panama City, doch eine passierbare Landverbindung gibt es nicht. Das dazwischen liegende Darién mit dem teils verminten ca. 100 km Dschungel- und Sumpfgebiet zählt zu den gefährlichsten Gegenden weltweit. Gefährlich wegen der zu den mächtigsten Verbrecherorganisationen der Welt gehörenden Drogenschmuggler und Paramilitärs. Außerdem wurde aufgrund der teils unerforschten Tier- und Pflanzenwelt dieses Gebiet zur Schutzzone (UNESCO) erklärt. So müssen eine Schiffspassage für den Camper, unser Flug und Hotelaufenthalt in Panama City organisiert und gebucht werden. Dann erreicht uns erneut eine Hiobsbotschaft. Wegen eines Hafenstreiks in Mexiko verzögert sich auf unbestimmte Zeit die Abfahrtszeit unseres Campers. Täglich erwarten uns neue Informationen von unserem Hafenagenten. Nun läuft alles anders als geplant. Der Flug muss gecancelt, das Hotel in Panama City umgebucht, das Hotel in Cartagena verlängert werden. Dann endlich, nach einer Verzögerung von 14 Tagen und 3-maligem Umbuchen grünes Licht für den Husky.
Während er von Cartagena nach Santa Marta, danach nach Venezuela zur Insel Aruba und Curacao nach Trinidad und von dort nach Colón in Panama schippert, haben wir viel Zeit, Cartagena mit dem prachtvollen romantischen Altstadtkern (UNESCO-Weltkulturerbe seit 1984) zu erkunden. Mit einem Hop-On-Hop-Off-Bus verschaffen wir uns erst einmal einen Überblick, dann geht es zu Fuß weiter. Viele Touristen zieht es in die gepflasterten Gassen mit ihren bunten Häusern. Auch wir sind hier mehrmals unterwegs. In nur 15 Gehminuten vom zentral gelegenen Hotel erreichbar. Auf dem Platz hinter dem hist. Hauptstadttor, der Puerta del Reloj mit ihrem Uhrturm, wurden in der Kolonialzeit abertausende afrikanische Sklaven verkauft und versteigert. Es war der größte Sklavenmarkt Südamerikas, denn über Cartagena wurden alle Sklaven „importiert“.
Auf der Plaza Bolívar fanden schon seit Anfang des 17. Jh. die berüchtigten Ketzerprozesse statt, denen ca. 800 Menschen zum Opfer gefallen sein sollen. Hier steht auch der trutzige Inquisitionspalast aus dem 18. Jh. mit seinem Barockportal. Wir verzichten auf den Besuch des Museums mit seinen Folterkammern und -instrumenten. Der Inquisition wurde im Zuge der Unabhängigkeitsbewegung erst Anfang des 19. Jh. ein Ende gesetzt.
Sowohl in der Kathedrale, einer der ältesten Amerikas, als auch in der Kirche San Pedro Claver finden gerade Hochzeiten statt.
Unser Abendessen genießen wir gegenüber dem Convento de la Merced und beobachten das nächtliche Treiben. Abends und nachts klappern die Pferdekutschen durch die lebendigen und charmanten Gassen und bringen u.a. Hochzeitsgesellschaften zu den Lokalen, wo sie von Tänzerinnen und Musikern empfangen werden.
In Sklavenarbeit entstand seit 1586 bis Ende des 18. Jh. die riesige, 11 km lange, z.T. begehbare und bis zu 15 m dicke Mauer aus Korallenstein, die die Altstadt fast komplett umgibt und beinahe vollständig erhalten ist. Auf einem Hügel errichtet liegt das gewaltige bis zu 40 m hoch aufragende Castillo de San Felipe, die größte Befestigungsanlage, die je von den Spaniern in einer ihrer Kolonien gebaut wurde und welche die Kolonialherren wirksam gegen die Piratenangriffen geschützt hat. Von hier aus hat man einen wunderschönen Blick auf die Stadt und das Meer.
Im mondänen Bocagrande strecken sich Wolkenkratzer gen Himmel, reihen sich Hotelanlagen, Designerläden und Restaurants aneinander. Am Strand kann man kilometerweit spazieren gehen vorbei an Hunderten von Liegestühlen. Immer wieder müssen Massageangebote abgewehrt werden.
Nach mehrstündigen Rundgängen genießen wir die Sonnenterrasse, den kühlen Whirlpool und den Strand gegenüber dem Hotel.
Nach erholsamen Tagen im Hotel heißt es Abschied nehmen vom südamerikanischen Kontinent. Mit vielen schönen, teils unvergesslichen Erlebnissen im Gepäck besteigen wir das Flugzeug nach Panama.
Slideshow der Bilder aus dem Bericht 16:
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