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Deutschland | Ecuador
Herbst 2022
15. Bericht – 20.11.2022
Nun sind wir im 8. südamerikanischen Land angekommen – in Ecuador!
Unsere gesundheitlichen Probleme und den damit verbundenen Frust, einige Highlights Perus verpasst zu haben, lassen wir hinter uns. Die Reiselust hat wieder Besitz von uns genommen!
Wir durchforsten den Reiseführer und lesen, was dieses nach der Äquatorlinie benannte Land auf kleinstem Raum uns bieten wird. Beeindruckende, bis zu 6300 m hohe Gebirgslandschaften, indigen geprägt. Mit 18 aktiven und unzähligen schlafenden Vulkanen ist die Andenkordillere gespickt. Farbenprächtige Flora und Fauna, dichter Dschungel, Sandstrände am Pazifik und vor allem das weltweit bekannte, legendäre Galápagos-Archipel. Auf all das sind wir gespannt!
Nach der Grenze wird es schlagartig grün. Von Tumbes sind wir Richtung Machala unterwegs. Die ersten wenig befahrenen Kilometer auf sehr gut ausgebauter Straße (viel investiert dieses Land in den Straßenbau, teilweise in bis zu 6-spurige Autobahnen) sind von gelb blühenden Bäumen gesäumt. Sofort ins Auge fällt das Fehlen von Müll! Unsere Blicke schweifen über die vielen landwirtschaftlichen Flächen, die sich die Berghänge hochziehen. Es zeigt sich immer wieder, wie das Auge nach langen braunen Abschnitten durch Sand- und Geröllwüsten nach sattem Grün, Wald und Bächen lechzt und sich dabei erholt. Hier im Süden Ecuadors ist das Landschaftsbild davon geprägt, auch wenn es nicht unbedingt das Exotische ist, was wir erwartet haben. Wären da nicht die schwülwarmen Temperaturen, könnte dieser graue und wolkenverhangene Tag ein typischer Novembertag bei uns daheim sein. Kilometerweit ziehen sich nun Bananenplantagen entlang der Straße. Auf den Reisfeldern wird fleißig geerntet.
Überrascht sind wir von den Lebensmittelpreisen, die teilweise empfindlich höher als die Preise in Deutschland (vor dem Ukraine-Krieg) liegen. Erfreulich sind jedoch die Preise an der Zapfsäule – ein Paradies (aus unserer Sicht) für Autofahrer. Noch nie haben wir so billig – ca. 50 Cent /l Diesel – den Tank gefüllt. Leider aber auch von schlechter Qualität, die den Verbrauch steigen lässt. Ecuador hat seine Währung nach hoher Inflation und schwindelerregender Abwertung des Sucre im Jahr 2000 aufgegeben. Seitdem ist der US-Dollar Zahlungsmittel.
Eine Stadtrundfahrt vermittelt uns einen ersten Eindruck von Cuenca, der viertgrößten Stadt Ecuadors, die wir dann zu Fuß weiter erkunden. Schön ist der Rundgang durch die Altstadt mit netten Gassen, verschnörkelten Balustraden, verzierten Eisenbalkonen. Das Wahrzeichen der Stadt ist die Neue Kathedrale aus rotem Backstein mit blauen Kuppeln, gebaut im 19. Jh. . Das Kircheninnere besteht aus Marmor und Alabaster und hat ansonsten keine nennenswerten Kunstschätze. Ihr gegenüber steht die Alte Kathedrale, deren Bau mit der Stadtgründung Mitte des 16. Jh. begonnen wurde. Heute beherbergt sie ein Museum.
Nun wird es regnerisch, aus dem Nieselregen entwickeln sich kräftige Schütter. In den Höhen herrscht dichter Nebel, der Regenwald macht seinem Namen alle Ehre. 83%ige Luftfeuchtigkeit signalisiert uns, dass wir uns wieder in den Tropen befinden. Auch die Vegetation ist eine andere. Die Klimazonen der Erde hängen wesentlich von der Distanz zum Äquator ab. Deshalb gibt es hier geringe Temperaturschwankungen im Jahresverlauf und große innerhalb eines Tages, außerdem keine Jahreszeiten wie in Europa, sondern lediglich 2 Trocken- und 2 Regenzeiten. Die Bäume haben daher keine Jahresringe und man kann unmöglich ein genaues Alter bestimmen. Baumriesen können bis zu 55 m hoch und schätzungsweise 200 Jahre alt werden. Widersinnig ist allerdings, dass die auf Böden gedeihen, die zu den unfruchtbarsten der Erde zählen. Dicht bewachsen sind sie u.a. mit Bromelien, Moosen, Flechten und teilweise Orchideen – bis zu 1000 Arten soll es hier geben. Farne wachsen in Baumgröße, die Blattgröße hängt von den klimatischen Bedingungen ab, je feuchter und wärmer, desto größer die Blätter. Nirgendwo auf der Erde ist das Pflanzenleben so artenreich wie im immergrünen Regenwald. Aus solchen Gebieten stammen auch wertvolle Edel- und Nutzhölzer. Das leichteste Nutzholz der Erde liefert der in Ecuador beheimatete und schnellwüchsige Balsaholzbaum aus dem Tiefland.
Dunkle Wolken schieben sich über die Berge und nehmen die Sicht darauf und auf die Kulisse der Vulkane. Kleine namenlose Ortschaften mit ihren in die Jahre gekommenen Häusern ziehen an uns vorbei. Cuys / Meerschweinchen und ganze Schweine brutzeln an Grillständen am Straßenrand. Von letzteren wird lediglich die braun-knusprige Haut abgeschnitten – eine Spezialität dieser Region. Das Fleisch findet sich in Stücken gebraten, gedünstet oder im Eintopf auf dem Teller.
Riobamba liegt in einem schönen Tal und ist von vier der höchsten Vulkane umgeben.
Auf dem Weg nach Norden beobachten wir erstaunt und fasziniert die Kartoffelernten an extremen Steilhängen. Teils lange Wege müssen die Bauern zu der Anbaufläche zurücklegen. Sehr hart muss ihre Arbeit sein, um den kargen Böden gute Ernten zu entlocken. Bedingt durch die Regenfälle der letzten Tage kam es zu größeren und kleineren Erdrutschen, zu unter- und überspülten Straßen – teilweise fehlt eine der Fahrspuren ganz – entlang der Strecke. Zunächst umfahren wir Quito und erreichen „La Mitad del Mundo“, den Äquator, ein Anziehungspunkt für viele Touristen aus aller Welt. Wir laufen die gelbe Äquatorlinie entlang – hier „zweiteilt“ man sich am Äquatordenkmal selbst: der eine Fuß steht auf der nördlichen, der andere auf der südlichen Erdhalbkugel.
Wir hoffen auf ein paar Sonnenstrahlen im Gepäck unseres Sohnes aus dem heißen Deutschland. Doch stattdessen erreicht uns die Hiobsbotschaft, dass der Flieger ohne ihn ankommen wird. Corona macht all die Pläne und Vorfreude zunichte! Hinzu kommt, dass der ecuadorianische Wettergott es nicht gut mit uns meint. Kaum ein Tag vergeht ohne Regen, ohne Nebel, ohne einen wolkenverhangenen Himmel.
In Mindo besuchen wir den Jardín de las Mariposas / Schmetterlingsfarm, wo wir auf anschauliche Weise die Entwicklungsphasen erklärt bekommen, von der Eiablage über die Verpuppung (teilweise getarnt z.B. als welkes Blatt!) bis zum schlüpfenden Schmetterling. In der riesigen Voliere füllt sich mein Kameraspeicher mit Hunderten von umherschwirrenden, unbekannten und farbenprächtigen Faltern.
In San Tadeo haben wir die Möglichkeit, Vögel und andere Tiere zu beobachten, auch wunderschöne wild wachsende Orchideen zu sehen. Gerade noch rechtzeitig vor dem nächsten Regenguss kommen mir ein paar schöne Exemplare vor die Linse. In Ecuador lebt der weltweit kleinste Vogel, der Kolibri, in 130 verschiedenen Arten. Auch das Nagetier Guatusa, das häufig im Kochtopf landet, hier aber nichts zu befürchten hat, lässt sich blicken.
Inzwischen sind wir an der heißen Küste angekommen, das Meer lockt. In Pedernales halten wir Ausschau nach dem kilometerlangen und menschenleeren Palmenstrand, wie im Buch beschrieben. Enttäuscht stellen wir fest, dass die Zugänge zu den Stränden entweder in einem Privatgelände oder einer geschlossenen Hotelanlage enden. Am einzigen öffentlichen Strand, in Cañina Veral, legen wir eine Pause ein und beobachten Krebse, die sich in Massen über Fischkadaver hermachen. Schnell verschwinden sie in ihren Löchern, sobald sie Gefahr wittern. Heftig setzen sie auch ihre Zangen ein, um ihr Wohnloch zu verteidigen. Hier im Meer unterzutauchen sind wir trotz der Hitze nicht wirklich motiviert.
In Machalilla, einem kleinen Fischerdorf, finden wir einen Standplatz direkt am Strand. Warmer Wind, blauer Himmel in den Morgenstunden. Doch schnell ändert sich das hier nahe am Äquator. Gegen Mittag ziehen Wolken auf. Es wird diesig und regnerisch, ungewöhnlich dieses Jahr. Keine Chance hat die Sonne für den Rest des Tages, sich noch einmal blicken zu lassen. Trotzdem – hier fühlen wir uns wohl, lassen die Seele baumeln und beobachten die Fischer bei ihrer Arbeit. Sie kontrollieren ihren Fang, auf den mit Kübeln und Eimern gewartet wird. Nach getaner Arbeit hängt man relaxed in den Hängematten. Was für ein Kontrast zu den quirligen Städten! Orte wie diese machen langsam und unbeweglich, lassen einen zur Ruhe kommen, verführen zum Bleiben.
Pelikane, die sich gerne an Ankerplätzen aufhalten und Fischerboote in Beschlag nehmen, lauern auf Abfälle, die über Bord geworfen werden. Schwärme von kreischenden Fregattvögeln versuchen ihnen die Beute streitig zu machen. Leider erleben wir diese Vögel nicht in der Balz, bei der das Männchen seinen leuchtend roten Kehlsack zu einer beachtlichen Größe aufbläht.
Nach vier Tagen ziehen wir weiter die Küstenstraße entlang. Vertouristisierte Stranddörfer, denen der Regen ziemlich zugesetzt hat, versinken schier im Schlamm. Die weiten hellen Sandstrände in Urlaubsorten wie z.B. Puerto López und Montañita, dem Geheimtipp unter Surfern, sind verwaist. Dennoch lässt sich das meist junge Publikum die Urlaubsstimmung nicht vermiesen. Bunt, lebendig und vor allem laut geht es hier zu. Eine Hotelanlage im Stil von Hundertwasser gibt dieser Ortschaft ein besonderes Flair.
Da eine Reisewarnung vom Auswärtigen Amt für Guayaquil, der größten Stadt Ecuadors, vorliegt, und die Nachrichten von einem Ausnahmezustand in einem Stadtviertel berichten, verzichten wir auf eine Sightseeing-Tour. Wir entschließen uns, den direkten Weg zum Flughafen zu nehmen. Unterwegs passieren wir einen surreal wirkenden Baumwald. 120 km von der Stadt entfernt sind wir am Strand von Playas auf der sicheren Seite, so denken wir. Doch nachts um 2 Uhr tauchen direkt neben uns zwei Autos auf. Lärm, Gebrüll, heiße Diskussionen, Streit. Irgendwann wird durch die Gegend geballert. Zum ersten Mal auf der ganzen Reise haben wir ein wirklich mulmiges Gefühl. Mehr als erleichtert sind wir, als sie wieder davonfahren. Besorgt erkundigt sich am folgenden Morgen ein Einheimischer nach uns, der die Schüsse gehört hat. Vor nicht langer Zeit ist hier wohl jemand erschossen worden.
Zehnspurig wälzt sich der Verkehr durch die Hafenmetropole Guayaquil. Auf dem bewachten Flughafenparkplatz verbringen wir die Nacht vor dem Abflug und lassen unseren Husky mit einem guten Gefühl stehen. Frühmorgens um 6.30 Uhr checken wir ein und landen nach anderthalbstündigem Flug, 1000 km vom Festland entfernt, auf San Cristóbal, einer der Inseln des Galápagos-Archipels. 13 größere, 6 kleine und mehr als 40 Eilande sind weltweit für ihre einzigartige Fauna über und unter Wasser bekannt.
Bei schönstem Wetter unternehmen wir vom Hotel aus eine Rundwanderung, um die nähere Umgebung zu erkunden. In den schwarzen Lavafeldern und Kakteenwäldern entdecken wir Darwin-Finken, Singvögel, die in 18 eng verwandten Arten mit gemeinsamen Vorfahren nur hier verbreitet sind. Sie unterscheiden sich vor allem durch die Form und Größe ihres Schnabels und der damit verbundenen unterschiedlichen Lebens- und Ernährungsweisen. Schöne Ausblicke ergeben sich auf die endlose Weite des tiefblauen Pazifiks und die weißen Sandbuchten.
Auf weitere tierische Begegnungen müssen wir nicht lange warten. Keinerlei Angst haben die Tiere vor den Menschen, die hier nie ein Feind der Fauna waren.
Seelöwen sind überall unterwegs. Autofahrer warten geduldig, bis sie die Straße überquert haben. Man überlässt ihnen die Parkbänke, die sie in Beschlag nehmen und ggf. auch vehement verteidigen. An der Playa Mann dösen sie zwischen den sonnenhungrigen Touristen und genießen wie diese die warmen Sonnenstrahlen. Jungtiere und Weibchen sind sehr neugierig, spielen mit badenden Menschen und schwimmen mit ihnen um die Wette, während man um größere aggressive Bullen, v.a. „Singles“, einen großen Bogen machen sollte.
Rote Klippenkrabben mit roten und blauen Füßen bevölkern den Felsbereich an der Wasserlinie. Die jungen sind schwarzfarben, was der Tarnung dient z.B. auch gegen erwachsene Artgenossen, von denen sie gerne verspeist werden. Aus nächster Nähe beobachten wir Riesen-Landschildkröten, die in einer Aufzuchtstation in einem weitläufigen Waldgebiet unterwegs sind.
Braun-graue Meerechsen mit ihrem Rückenkamm und stacheligen Nacken liegen gut getarnt zum Sonnenbaden auf dem warmen Lavagestein am Strand La Lobrería.
Die lustig aussehenden und zutraulichen Blaufußtölpel mit ihrem Watschelgang haben es mir ganz besonders angetan. Unbeholfen scheinen sie an Land zu sein, doch wohl Meister in der Luft und beim Landeanflug vergleichbar mit einer Concorde, der Kopf nach unten abgewinkelt. Wie die Pelikane stürzen sie sich wie ein Kamikazeflieger in die Fluten. Im Regen machen wir uns auf die Suche an der Playa Chino und werden endlich fündig. Immerhin zwei Paare treffen wir an, von denen das Weibchen größer ist als das Männchen. Wie der Tölpel zu seinen blauen Füßen kam, ist unbekannt. Jedenfalls spielen sie bei der Balz eine wichtige Rolle.
Am vierten und letzten Tag ist eine Bootstour geplant. Doch schlechtes Wetter ist wieder angekündigt, wir stornieren diesen Ausflug und verbringen den Tag größtenteils bei strömendem Regen im Hotel.
Das schlechte Wetter begleitet uns auch weiter auf dem Festland. Nicht nur deswegen, sondern v.a. wegen des „heißen“ Pflasters wollen wir Guayaquil und die nähere Umgebung so schnell wie möglich hinter uns lassen. Und dann dieser Schrecken, der uns tagelang in den Knochen sitzt. Wir verlieren das linke Hinterrad mitsamt der Achse bei ca. 80 km/h. Ausgerechnet auf dieser Strecke! Das gleiche Problem wie damals in Chile. Pfusch bei der damaligen Reparatur, schlechtes Material, Verschleiß? Es wird wohl eine Kombi aus allem sein. Das Geschoss – Rad mitsamt der Achse – hat den Benzinkanister abgerissen und ist 20 m rechts im Feld gelandet. Gottseidank nicht im Gegenverkehr – es hätte Tote geben können. In Gummistiefeln – man warnt ihn vor Schlangen – holt Stephan das Rad aus dem Reisfeld. Polizei und Abschleppdienst müssen organisiert werden, und das bei defekter SOS-Säule und sehr schwacher Handyverbindung. Der erste Polizist schickt mich ins Auto und lässt mich die Türen verriegeln. Die nächsten zwei martialisch ausgerüsteten vermitteln Sicherheit. Dunkel ist es, als endlich der Abschlepper auftaucht. Spätestens jetzt hätte man uns ausgeraubt, kommentieren die Polizisten. Nach zwei Stunden kommen wir in der Werkstatt an, unsere Nerven haben sich inzwischen wieder einigermaßen beruhigt. Glück im Unglück! Es hätte ganz woanders passieren können, irgendwo im Nirgendwo. Irgendwo ohne Netzempfang. Irgendwo, wohin kein Abschlepper kommt. Das Rad hätte in einer Schlucht landen können und wir dazu. Ich darf gar nicht daran denken! Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen, hatten einen guten Schutzengel.
Nach zwei Tagen geht es endlich weiter. Im letzten Abendlicht kommen wir in Salinas an. Die „kleine Schweiz“ nennt man diese Gegend, zu Recht! In einer Käserei und einer Schokoladenfabrik probieren wir uns durch, decken uns ein, wobei die süßen Leckereien ruckzuck weggeputzt sind.
Bei vielversprechend gutem Wetter kommen wir auf einer Panoramastraße dem Chimborazo, mit 6310 m der schneebedeckte höchste Berg Ecuadors, näher. Wieder sind Höhenrekorde fällig. Unterwegs, auf 4100 m, begegnen wir seit langer Zeit erneut den wild lebenden und scheuen Vicuñas. Mit 80 cm Höhe und bis zu 55 kg Gewicht sind sie die Zierlichsten unter den Kamelarten. Durch das hellbraune Fell und der weißlichen Unterseite passen sie sich der Landschaft gut an. Die Wolle ist fein, dicht und wertvoll, die teuerste im gesamten Tierreich. Alle 3-4 Jahre gewinnt man ca. 250 Gramm! Früher wurden sie schonungslos gejagt, heute stehen sie unter Naturschutz. Ihr Herz ist 50% größer als bei vergleichbaren Säugetierarten, und dadurch der großen Höhe bestens angepasst.
Hier oben herrscht ein eigenes Klima. Eine Wolke schiebt sich über die andere, verschluckt den Vulkan vollständig. Am Refugio auf 4800 m tobt ein heftiger und eiskalter Sturm. Viele Sonntagsausflügler, gut eingepackt, sind unterwegs und sicher genauso enttäuscht wie wir. Nichts von dem Vulkan ist zu sehen.
Über Ambato geht es nach El Boliche. Durch die Windschutzscheibe, auf die inzwischen der Regen prasselt, sehe ich eine Landschaft, die bei gutem Wetter sicher sehr schön sein muss. Schade! Das Naturschutzgebiet El Boliche auf 3570 m grenzt an den Nationalpark Cotopaxi. Nach einem knapp dreistündigen Spaziergang durch frische Waldluft mit einem freien Blick auf den kegelförmigen Vulkan Cotopaxi – einem der höchsten (5897 m) aktiven der Erde – schaffen wir es gerade noch rechtzeitig ins WoMo. Der ständige Wind legt zu, entwickelt sich zu einem bedrohlichen Sturm. Die Baumwipfel werden gepeitscht, ringsum knarzt und ächzt es und zwingt uns, einen schnelleren Gang einzulegen, um aus dem Wald herauszukommen.
In Saquisilí besuchen wir den großen Markt. Hier herrscht ein quirliges, lebendiges Treiben. Viele Ecuadorianer, teils in traditioneller Kleidung – die Quechua-Indianer der Region tragen rote Ponchos – strömen donnerstags in diese kleine Ortschaft. Nur sehr wenige Touristen verirren sich auf diesen urtümlichen Markt. Wie überall in Ecuador werden Obst und Gemüse nicht kilo-, sondern stückweise angeboten. Wir schlendern durch das bunte Chaos. Fast alles, was man sich vorstellen kann, wird verkauft. Selbst alte Autoreifen werden sinn- und phantasievoll wiederverwertet. Dazwischen stehen die Straßenküchen mit einfachen Tischen und Hockern. Kinder rennen durch die Gegend, Hunde betteln, die Händler preisen lauthals ihre Produkte an, alte Singer-Nähmaschinen rattern.
Die ecuadorianische Küche ist für uns nicht der Hit. Der Sparzwang, dem die Mehrheit der Bevölkerung ausgesetzt ist, macht sich auch auf dem Teller bemerkbar. Das Mittagessen ist die wichtigste Mahlzeit des Tages. Zu den kleinen Salat- und Fleischportionen (meist Huhn, Ziege, Rind, Innereien, Schweineschwänze u. anderes fetthaltiges Schnodderfleisch) werden eine große Portion Kartoffeln / Süßkartoffeln, meist als Pommes, und immer Reis serviert. Eigentlich weiß man nie, was für Fleisch in die Pfanne wandert, alles wird verwertet. Gegrillte oder gedünstete Maiskolben, Bratbanane, Maispuffer, um nur die gängigsten Zutaten aufzuzählen. Ein Rinderfilet kann man zumindest in besseren Restaurants annähernd als zart bezeichnen, während das Beefsteak meistens eine lederartige Angelegenheit ist. Doch immer gibt es eine Suppe, die oft nahrhafter ist. Es wird vor allem Bier getrunken, wogegen der ecuadorianische Wein meist ungenießbar süß ist, und importierte spanische, argentinische oder chilenische Rotweine unverhältnismäßig teuer sind. Wir trinken süßen und aromatischen Orangensaft von Früchten, die man, so wie so aussehen, daheim nicht kaufen würde. Ein 10 kg-Sack ist für ca. 3,50 € zu haben.
Das kleine touristische und sehr gepflegte Dorf an der Laguna Quilotoa, wo gerade ein Pferdemarkt stattgefunden hat, wird binnen weniger Minuten von dichtem Nebel verschlungen. Novemberstimmung! Einen freien Blick auf die Lagune, die sich im Krater des gleichnamigen Vulkans gebildet hat, haben wir erst am nächsten Morgen. Bei strahlender Sonne präsentiert sie sich von ihrer schönsten Seite.
Auf der Strecke von Ambato über Baños nach Puyo kommen wir in eine Schlechtwetterfront. Sintflutartiger Regen, reißende Fluten unter uns, Wasserfälle direkt neben uns stimmen nachdenklich. Eine Alternativstrecke gibt es nicht. Wir fahren zurück nach Baños und übernachten in einer ruhigen Seitenstraße. Am folgenden Tag blockieren Schlamm- und Gesteinsmassen die Straße, ein ganzer Hang kam nachts ins Rutschen. Wir müssen in einem großen Stau ausharren und sind froh, gestern rechtzeitig umgekehrt zu sein.
Von hier, nach kalten Tagen in den Bergen, geht die Fahrt hinab durch die eindrucksvolle Vegetation des Regenwalds, der teilweise in dichte Nebelschleier getaucht ist, ins feuchtheiße Amazonasbecken. In der Dschungellodge Sinchi Warmi bei Misahualli, die von einer einheimischen Frauen-Kooperative betrieben wird, bleiben wir drei Tage, genießen das besondere Flair von tropischer Flora und Fauna und die ruhige und freundliche Atmosphäre der gepflegten Anlage. Bis auf das exotische tierische Stimmengewirr, das Zirpen der Zikaden und Quaken der Frösche herrscht eine himmlische Ruhe. 12 verschiedene Zierbananenarten mit unterschiedlichen wunderschönen Blüten wachsen hier. Man fühlt sich hier in einer anderen Welt!
Sophia führt uns durch die kleine Kakao-Plantage der Kooperative und erklärt uns jeden Schritt von der wachsenden Bohne bis zur fertigen Schokolade. Zum Schluss stellen wir nach eigenem Gusto selbst Schokolade her und genießen sie in einem Früchte-Fondue.
Auf einer kleinen Bootstour durch den Dschungel mit einem Einheimischen lauschen wir fremdartigen Geräuschen, sehen nistende exotische Vögel, Affen, die sich an den Ästen entlanghangeln und flinke Kolibris. Fast unerträglich ist die feuchtheiße Luft. Ein Gemisch aus Moskitomittel, Sonnenschutz und salzigem Schweiß brennt in den Augen. Mit Abstand und schnelleren vorsichtigen Paddelschlägen geht es an einem länglich geformten, bedrohlich summenden Wespennest vorbei. Wesentlich kleiner als unsere heimischen Insekten, doch umso aggressiver sollen sie, und ihr Stich sehr viel schmerzhafter sein. Von den nachtaktiven Kaimanen ist leider nichts zu sehen.
Es ist Sonntag und schön, den fröhlich spielenden Kindern zuzusehen. Während ich mit Gummistiefeln unterwegs bin, rennen sie barfuß über Steine und durch pieksendes Gestrüpp. Hingebungsvoll beschäftigt sich eine Dreijährige mit ihrem Sandkuchen, den sie mit Beeren und Gräsern verziert. Ältere fangen Fische, die stolz in Mutters Küche gebracht werden.
Ein merkwürdig aussehender Baum mit spitzen Dornen am Stamm und eingeritzten Ringen erweckt unsere Aufmerksamkeit. Mit scharfem Messer überprüft man an den Ringen den Härtegrad des Holzes und damit den Zeitpunkt der Fällung. Um seine Delikatesse genießen zu können, bleibt der gefällte Stamm ca. 2 Wochen liegen. In dieser Zeit entwickeln sich die proteinhaltigen und wohl sehr schmackhaften Gurana-Würmer, die dann eingesammelt und gekocht werden.
Nun wird es auch hier immer öfter regnerisch und ungemütlich. So fällt uns der Abschied aus diesem Paradies nicht allzu schwer. Nur wenige Kilometer weiter, am Rand des Dorfes Misuahalli am Río Napo begegnen wir einer Affenhorde, die hier in einem Waldstück sesshaft geworden ist. Trotz Anwesenheit von Menschen lassen sie sich nicht vom Spielen, Säugen und Dösen abhalten. Stundenlang könnte ich ihnen zusehen. Ärgerlich ist, dass große Hinweisschilder, die Tiere nicht zu füttern, ignoriert werden. Man lockt sie u.a. mit Keksen, Chips, verschiedenem Obst an, um sich mit ihnen abzulichten.
Dann geht’s wieder hinauf in die Höhen der Anden. Gerne hätten wir uns in den Thermen von Papallacta entspannt, doch wir verzichten aufgrund des schlechten Wetters, das uns so gar nicht dazu motiviert. Regen – Regen – Nebel! Auf 4800 m sind Bären-Warnschilder aufgestellt, doch keinem begegnen wir. Bei diesem Wetter treibt es keinen aus der Höhle. Ganz besonders freue ich mich auf die Reserva Pasachoa, auf der man auf verschiedenen Wanderwegen Kolibris und Orchideen bewundern können soll. Doch nichts von all dem ist zu sehen. Tags darauf gehe ich frühmorgens um 6.30 Uhr erneut auf Entdeckungstour. Enttäuscht und durchgefroren, ohne auch nur einen Vogel, geschweige denn Kolibris, entdeckt zu haben, mache ich mich auf den Rückweg.
Einen sonnigen Tag verbringen wir in Marias sehr schön angelegten Garten. Endlich Zeit und Muße für Dinge, wir bisher aufschieben mussten.
Von hier aus bringt uns ein Taxi für einen Spottpreis in die historische Altstadt Quitos (die zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt), zur zentral gelegenen Plaza Forch. Hier beginnt unsere Entdeckungstour. Die charmante Stadt liegt auf 2800 m inmitten der Anden, nur ca. 20 km südlich des Äquators, am Fuß des 4800 m hohen Pichincha-Vulkans. Wir gelangen zur Plaza San Francisco mit gleichnamiger Kirche. An der Plaza Independencia bewacht die Garde den Präsidentenpalast. Auf engstem Raum drängen sich weiß getünchte Kirchen, Klöster, Wohnhäuser, Geschäfte und bunte Fassaden aneinander. Beeindruckend sind die prächtigen Kolonialgebäude und die großen Plätze. Besonders sehenswert ist die prunkvolle barocke Kathedrale, La Compañía. Wir gönnen den durch das Kopfsteinpflaster strapazierten Füßen bei authentischem ecuadorianischen Kaffee eine Pause und lassen das südamerikanischen Flair und das lebendige Treiben um uns herum auf uns wirken. Beeindruckend sind auch die Menschenmassen und die Polizeipräsenz, wie wir sie noch nirgendwo erlebt haben. Die Kriminalität hat in den letzten Jahren auch hier spürbar zugenommen. Die schwere Wirtschaftskrise 1999 und Naturkatastrophen wie El Niño haben großen sozialen Schaden angerichtet. Kriminelle Energie ist im ganzen Land, vor allem in Großstädten, anzutreffen. Auch spezielle Touristenpolizei und Sicherheitspersonal ist überall unterwegs. Freundlich werden wir willkommen geheißen, mit guten Tipps und Ratschlägen versorgt, doch auch um Vorsicht und Umsicht gebeten: Schnell, raffiniert und voller Fantasie sollen die Diebe vorgehen. Vom kleinen Hügel Panecillo mitten in Quito hat man einen tollen Rundumblick.
Auffallend sind hier und in der Umgebung die vielen Murales / Wandmalereien – reinste Kunstwerke! So viele und derart schöne haben wir zuletzt in Valparaíso / Chile gesehen.
Überwiegend wolkenverhangen sind auch die nächsten Tage am idyllischen Lago San Pablo, doch immer öfters schafft es die Sonne, eine Lücke zu finden. Wir campieren direkt am Ufer – ein schöner ruhiger Standplatz. Von hier aus unternehmen wir Ausflüge nach Otavalo, zum Wasserfall El Peguche, zu den Lagunen La Mojanda und Cuicocha.
In der Kleinstadt Otavalo, die für ihren großen farbenfrohen indigenen Samstagsmarkt – der größte Kunsthandwerksmarkt Ecuadors – weltweit berühmt ist, stöbern wir durch das umfangreiche Angebot. Stephan entdeckt die berühmten Panamahüte, die seit dem 17. Jh. hier in Ecuador hergestellt werden. Klar, dass er nicht darauf verzichten kann, seine ohnehin schon vorhandene Hutkollektion um einen weiteren zu bereichern. Mit gefüllten Tüten kommen wir zurück zum Auto.
Umgeben vom Duft der Eukalyptusbäume wandern wir zum Wasserfall El Peguche.
Schöne Natur erleben wir an den Lagunas Mojanda und Cuicocha.
Auf kurvenreicher Fahrt durch regenarme Busch- und Kakteenlandschaft, durch das oasenhafte Tal von Guayallabamba erreichen wir Cayambé. Hier legen wir einen kurzen Zwischenstopp ein und kaufen den hier angebotenen herzhaften Käse und die berühmte Spezialität biscochos / Biskuitplätzchen, die nur hier in der Region gebacken werden. Stephan ist davon begeistert, kauft die Plätzchen tütenweise ein, mir schmecken sie nicht wirklich.
In Zuleta, einer kleinen Ortschaft, die für ihre Stickereien und das „helado con queso“/ Eis mit Käse – bekannt ist, probieren wir zum ersten Mal diese sahnige Eissorte, von der wir dachten, dass gefrorener Käse doch nicht schmecken könnte. Wir bereuen es, diese Köstlichkeit nicht schon eher ausprobiert zu haben. Lecker! Im weiteren Streckenverlauf halten wir vergeblich Ausschau danach.
Durch schöne Landschaft führt uns ein kurzer Abstecher auf dem Weg nach Ibarra in das verschlafene Nest Angochagua.
Weiß getünchte kleine Häuser vermitteln der Altstadt von Ibarra ein sympathisches Flair.
Nun endlich lässt das Wetter es zu, in den herrlich temperierten Quellen der sehr schön angelegten Therme Chachimbiro mit Wassertemperaturen von kalt bis 48 Grad zu entspannen.
Über das Chota-Tal mit auffallend großer afro-ecuadorianischer Bevölkerung auf schlechtester Steinpiste durch die Páramo-Hochebene auf 3800 m und kräftezehrendem Aufstieg kommen wir zur Laguna Voladero. Charakteristisch für das Schutzgebiet El Ángel sind die Berghänge voller Espeletien-Pflanzen, die Frailejones oder Riesenmönche, die in einer Höhe zwischen 3500 und 4700 m wachsen. Samtweich sind ihre silbrigfarbenen, behaarten Blätter, leuchtend gelb die Blüte. Bis zu 6 m hoch und mehrere hundert Jahre alt können sie werden. Die einzige Ausnahme in der sonst niedrigen Vegetation der ecuadorianischen Páramos.
Frühmorgens, bei wunderschönem sonnigen Wetter, starten wir auf unsere letzte Etappe. Vorbei an Zuckerrohr-Plantagen, wunderschön blühenden Bougainvilleen in allen Farbvarianten, großbüschigen Weihnachtssternen und durch den betörenden Duft der Eukalyptusbäume erreichen wir die Grenzstadt Tulcán. Die einzige Attraktion dieses Ortes ist der Friedhof, in dem Bäume und Sträucher zu interessanten geometrischen Formen und „Skulpturen“ zugeschnitten sind, wie wir es bereits auf dem Dorfplatz von El Ángel gesehen haben.
Bis auf einen Tag haben wir die dreimonatige Aufenthaltserlaubnis ausgenutzt und machen uns nun auf den Weg zur nahen kolumbianischen Grenze.
Slideshow der Bilder aus dem Bericht 15: