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Deutschland | Nordchile / Bolivien
Mai 2022
12. Bericht – 22.05.2022
Glockengeläut! Im Halbschlaf fühle ich mich in meine Kindheit versetzt, an die sonntäglichen Kirchenglocken erinnert. Doch es ist Donnerstag, der 24. März, über 60 Jahre später, 6.30 morgens. Die Glocken der Kathedrale von Tupiza läuten den ersten Morgen in Bolivien ein.
Gestern, nach dem, was wir gehört haben, machten wir uns auf’s Schlimmste gefasst. Doch wir werden nicht zurückgeschickt, haben alle notwendigen Fotokopien, ausgefüllte Formulare und Gesundheitszeugnisse, inkl. negativem PCR-Test und unauffälliger Körpertemperatur, vorliegen. Dennoch wird uns Grenzgängern viel Geduld abverlangt. 2 Stunden dauert das Stempeleinsammeln, der Zettel- und Formularkrieg. 2 Stunden an verschiedenen Containern sich die Beine in den Bauch stehen, was bei zunehmender Schwüle immer unangenehmer wird. Dann endlich nur noch die Zollabfertigung überstehen, die dieses Mal weniger kompliziert abläuft. Keine Fragen, kein Kontrollblick in das Wageninnere und den Kühlschrank. 30 Tage Aufenthaltsgenehmigung erscheinen uns zwar knapp, doch eine Verlängerung ist möglich. Nach der Reifendesinfektion gelangen wir durch eine Gasse von unzähligen shops mit allerlei Krimskrams zum Zentrum von Villazón. Und staunen!
Im Vergleich zur dreckigen, vermüllten und staubigen argentinischen Grenzstadt La Quiaca ist hier alles sauber und gepflegt. Appetitlich sortierte Marktstände animieren den Kühlschrank zu füllen. Ein netter Park lädt zum Verweilen ein.
Auf neu asphaltierter Straße durch die nun bolivianische Puna kommen wir gut voran. Abwechslungsreich ist die Landschaft. Immer wieder ergeben sich schöne Blicke. Aus der zunächst flachen Steppe durch grüne Flusstäler in das kurvenreiche Gebirge. Vorbei an namenlosen, doch weniger ärmlich aussehenden Siedlungen auf dem Weg nach Tupiza. Die sonst üblichen wilden Müllhalden, die eine Stadt ankündigen, bleiben uns hier erspart. Ob die in regelmäßigen Abständen aufgestellten Hinweisschilder, den Umweltschutz betreffend, ihre Wirkung zeigen? Fast hat man den Eindruck, als würde sich Bolivien gegen das Klischee, das ärmste Land auf dem Kontinent zu sein, vehement wehren.
Auf dem Bummel durch die Kleinstadt werden wir von den mittäglichen Essensgerüchen angelockt. Um die mobilen Garküchen in den Straßen u. um die riesigen Töpfe in den Markthallen scharen sich die Hungernden. Hier werden Hygienekontrollen durch die Polizei vorgenommen, die Hände der Köche müssen vorgezeigt werden. Für umgerechnet 3 Euro werden wir in der Markthalle beide satt u. sind um ein Erlebnis reicher. Doch die höllisch scharfe Soße, die einmal zufällig unseren Gaumen gestreichelt hat, an die er sich nie gewöhnen wird, lassen wir stehen. Etwas gewöhnungsbedürftig, doch lecker ist das üppig regionale Mittagsmahl. Einen Tag später kämpft Stephan mit Montezumas Rache. Witzige kleine Autos, auf deren Rücksitz zwei Erwachsene Platz finden, flitzen durch die Straßen und Gassen. Schnell entlarven wir sie als die ortsüblichen öffentlichen Verkehrsmittel. Aufgrund der Aufmachung ist oft auf das Alter des Fahrers/Besitzers zu schließen.
Schwer schnauft der Husky auf der nun immer schlechter werdenden Gebirgsstraße hinauf u. irgendwann höre ich auf, die Kreuze zu zählen. Minenanlagen durchlöchern die Berge. Das Wetter trägt dazu bei, das alles noch trostloser wirken zu lassen. Bolivien zeigt sich nun von einer ganz anderen Seite. Ist nicht auch die sogenannte „Erste Welt“ mit Schuld an diesem Dilemma? Trägt nicht auch unser Konsum dazu bei, diese Ausbeutung aufrecht zu erhalten?
Im späten 16., vor allem im 17. Jh., galt die Minenstadt Potosí als eine der reichsten Städte der Welt. Der 4830 m hohe kegelförmige Berg, der Cerro Rico (der „reiche Berg“), Wahrzeichen der Stadt, strotzte nur so von Silberadern. Er verhalf zu unermesslichem Wohlstand, auf Kosten der 8 Millionen Indios, die aufgrund der katastrophalen Arbeitsbedingungen in den dilettantisch angelegten Minen einen grausamen Tod starben. Quecksilber, das als Scheidemittel eingesetzt wurde, führte zu Vergiftungen. Maximale Lebenserwartung waren 40 Jahre. Ab dem 20 Jh. erlebte die Stadt durch den Abbau von Zinn einen erneuten Aufschwung. Heute leben die Einwohner von den Resten an Zinn und Zinkerz, die in mühsamer und gefährlicher Arbeit aus dem Berg gesprengt werden. Auch jetzt noch herrschen teilweise üble Bedingungen. Mit Kauen von Kokablättern, das auch Hunger und Durst vertreibt, versucht man das Elend erträglicher zu machen. Dieses Elend wollen wir nicht sehen, verzichten auf eine Besichtigung. Zeugen der Blütezeit sind die in den engen Gassen bunten Häuserfassaden mit kolonialen Holzbalkonen, die dem Verfall ausgesetzten einst prächtigen Kirchen und kolonialen Gebäude. Diese zweithöchst gelegene Großstadt Boliviens (4070 m) sorgt auf unserer Erkundungstour mit ihrer dünnen Luft und ihren steilen Gassen für Kurzatmigkeit und zwingt uns zu häufigen Verschnaufpausen. 1987 erklärte die UNESCO die gesamte Altstadt und teils auch Silberminen zum Weltkulturerbe. Mit diesem Geld konnte Vieles in der Kolonialstadt restauriert werden. Wie in allen südamerikanischen Städten gruppieren sich die wichtigsten Sehenswürdigkeiten um die zentrale Plaza. Hier die Kathedrale, prachtvolle Gebäude wie den Justizpalast und das Rathaus. Auf der gepflegten Plaza 10 de Noviembre herrscht buntes Treiben. Man feiert das Fest San Bartolomé, das böse Geister vertreiben soll. Ein Fest mit Umzug, das normalerweise Mitte August stattfindet, wird coronabedingt jetzt nachgeholt. Blechbläser, die „Bandas“, die in Bolivien weit verbreitet und für europäische Ohren schaurig ungewöhnlich und laut sind, begleiten die verschiedenen, in traditioneller Tracht gekleideten Tanzenden.
Die weiteren auf ihren Auftritt wartenden kostümierten Gruppen werden von einem urplötzlichen Hagelschauer, der in heftigen Regen übergeht, überrascht. Die Menschenmenge strömt auseinander. Auch wir rennen völlig durchnässt und frierend Richtung Parkplatz zum Auto. Sturzbäche schießen von der Ober- in die Unterstadt. Für den kommenden Tag ist keine Besserung zu erwarten und wir beschließen, Richtung Uyuni weiterzufahren. Ein letzter Blick richtet sich am Stadtrand in ein vermülltes und stinkendes Flussbett. Ein Schwein frisst sich durch den Unrat. Wohl bekommt’s demjenigen, dem dieses Schnitzel vorgesetzt wird.
Immer wieder beeindrucken breite Flussläufe, die jetzt teilweise ausgetrocknet sind, und schöne Blicke in die Landschaft. Durch Schluchten geht es hoch auf 4200 m.
Und dann der Blick auf das weiße Band, das aus der Ferne zu erkennen ist: der Salar de Uyuni, der größte Salzsee der Erde.
Salz, wohin das Auge schaut. Ein surreal wirkendes, gigantisches spiegelglattes weißes Meer, das sich bis zum Horizont ausbreitet. Jetzt, nach der Regenzeit, ist die gleißend weiße Oberfläche teilweise noch mit Wasser bedeckt. Um unser Gefährt vor dem Salzwasser zu schützen, entschließen wir uns zu einer organisierten Tour. Sie beginnt mit einem Stopp am Eisenbahnfriedhof, einer Ansammlung alter Dampflokomotiven und Waggons.
Unterirdische Wasserläufe brechen durch die Salzkruste, die „Ojos“, die Augen des Salars. Schöne Spiegelungen entstehen. Auf den trockenen Flächen haben sich eine klare Polygonstruktur, große Sechsecke gebildet. Bis zu 5 m dick und fest genug, dass man es mit dem LKW überqueren kann. Unter der Salzkruste lagert das größte Lithium-Vorkommen der Welt. Doch der Abbau ist kostspielig, und so bleibt bis auf Weiteres diese wichtige Einkommensquelle ungenutzt und das Naturwunder geschützt.
In einem ehemaligen Salzhotel, das komplett, inkl. Tischen und Stühlen, selbst Betten, aus Salz gebaut ist, werden wir verköstigt. Bei einem guten Gläschen Wein genießen wir den Sonnenuntergang – ein lohnender Ausflug geht zu Ende.
Läge da nicht dieses Highlight vor der Haustüre, eine Attraktion für Touristen aus aller Welt, wäre Uyuni-Stadt auf 3670 m Höhe in der trostlosen Hochlandöde völlig bedeutungslos. Wie Nebel liegt Staub über der Stadt, der durch LKWs und den ständigen Wind in den Erdstraßen aufgewirbelt wird. Lediglich die zentrale Fußgängerzone ist gepflastert. Farbe in dieses Braun bringen der indigene Markt und die kleine grüne, doch ungepflegte Plaza.
Kilometerweit treibt der heftige Wind den Müll vor sich her, in dem Hunde gierig nach Futter suchen. Mitleid hab ich mit diesen armen Kerlchen, die aber immerhin Müll zur Verfügung haben. Um die total Ausgehungerten, abseits der Zivilisation wenigstens für einen Tag satt zu machen, kaufen wir einen großen Sack Hundefutter. Schnell ist er aufgebraucht. Die verschlissenen Lager vom Differential u. das Öl, das für diese Höhe zu dünn ist, lassen wir auswechseln, bevor wir uns auf den Weg zur Lagunenroute machen.
Auf über 3800 m bewegen wir uns die nächsten Tage. Vor San Cristobal blitzen weiße Berggipfel vor tiefblauem Himmel. Hier werden ein letztes Mal Tank und Kanister gefüllt. Über Villa Alota, einem kleinen indigenen und verschlafenen Dorf, liegt eine Totenstille. Nun wechseln sich Sandpassagen, Salzlagunen und Wellblech in den übelsten Varianten ab. Bis auf 4615 m kämpfen wir uns hoch, vorbei an leuchtend roten, teilweise abgeernteten Quinoa-Feldern und bizarren Felsformationen.
Eine schier unheimliche Stille liegt über dieser kargen Gegend. Ein eisig kalter Wind weht uns um die Nase. Auf knapp 4300 m hebt sich die rötlich schimmernde Laguna Colorada in der braunen Landschaft ab. Der Blick von weitem lässt bereits das Herz höher schlagen. Was für eine Farbenvielfalt, was für ein einmaliges Naturschauspiel! Die 75 km Schinderei ab Villa Mar, für die wir 5,5 Std. brauchten, hat sich gelohnt. Aufgrund kupferhaltiger Mineralien und rotem Plankton ist der 60 qkm große See unnatürlich rot gefärbt. Hunderte von Anden-Flamingos staksen am Ufer entlang. Ich kann mich kaum sattsehen. Die Kälte und der bissige Wind halten mich nicht davon ab, den Kameraspeicher zu füllen. Ein unvergessliches Erlebnis!
Doch die Lagunenroute fahren wir nicht komplett, die Laguna Verde schaffen wir nicht – zu materialmordend ist die Piste. Die nun folgende Strecke verlangt uns, vor allem dem Husky, einiges ab und zerrt an Stephans Nerven. Abenteuer pur – fast schon zu viel für uns Altchen. Das, was wir bisher als solches bezeichnet haben, stellt diese Strecke in den Schatten. Im Wechsel menschenleere Stein- und Sandwüste. Längst ist an eine Umkehr nicht mehr zu denken. Es gibt kein Zurück, keine Alternative, keine Beschilderung. „Immer links halten“, war die einzige Information. Doch bei diesem Spurenwirrwar schwer auszumachen. Erst als wir vor dem beschriebenen „Abhang“ ankommen, sind wir uns sicher, auf dem richtigen Weg zu sein. Nicht erwähnt wurde allerdings die darauffolgende Steigung. Gut, dass wir nicht wissen, wie viele noch folgen werden, dass es im Auf u. Ab noch einige Kilometer so weitergehen würde. Doch nicht lange zögern, überlegen, hadern. Entscheiden, welche Spur wir nehmen – Untersetzung rein und durch. Schaufel und Sandbleche kommen nicht zum Einsatz – Gottlob! Interessante Fotos gäbe es – doch wer denkt in solchen Situationen an‘s Fotogafieren. Kurz vor der Dämmerung kommen wir an der Laguna Q‘ara an. Hier, bevor wir unser Nachtlager aufschlagen, hätten wir einen Schluck Pisco mehr als verdient. Doch aufgrund der Höhe müssen wir darauf verzichten. Im Nachhinein betrachtet wird mir ganz anders. Wie hoch der Blutdruck, die Pulsfrequenz waren, möchte ich nicht wissen.
Zurück vom Altiplano, der Stein- und Sandwüste, so faszinierend sie auch war, ist es eine Wohltat für das an das Braun gewöhnte Auge, im Grünen anzukommen. Wieder Asphalt unter den Rädern und nach tagelanger Einsamkeit in der Zivilisation zu sein. Ein seltsamer Anblick überrascht uns auf dem Weg nach Tarabuco: eine „spätmittelalterliche“ Hängebrücke für Fußgänger aus dem 19. Jh. mitten in Bolivien.
Sehr schön und abwechslungsreich ist die weitere Strecke Richtung Sucre, mit subtropischem Charakter. Im Naherholungsgebiet der Sucretaner, Yotala, fragen wir uns, in welchem Land wir eigentlich sind.
Eine Unmenge parkender Autos und zielstrebiger Menschen machen uns neugierig. Ein bolivianisches Paar klärt uns auf und begleitet uns auf das Fest – eine Art Erntedank verschiedener Gemeinden. Immer wieder bewundere ich die schwarz glänzenden langen Zöpfe. Zwischen diesen leuchte ich als fast-Albino in der Menschenmenge. Leicht auszumachen für Stephan, sagt er.
Einer der interessantesten Sonntagsmärkte – auch heute am Palmsonntag – ist der Bauernmarkt in Tarabuco. In farbenprächtigen Trachten strömen aus den umliegenden Dörfern zu Fuß oder auf LKW-Pritschen die Menschen in dieses kleine Örtchen. Einige tragen schwarze „Monteras“, eine den Helmen der spanischen Konquistadoren nachempfundene Kopfbedeckung. Man kauft, verkauft – sogar Haare für bis zu 2000 BOL = ca. 300 Euro! – und handelt auf dem Viehmarkt. Interessiert beobachten wir das Geschehen. Doch man spricht hier Quechua – wir verstehen nichts. Wir decken uns mit unbekannten Früchten, die wir zuvor probieren dürfen, ein. Mit den über Nacht geschlüpften Maden sind vorerst meine Neugierde und der Appetit auf Exotisches vergangen. Igitt!
Sucre ist unser nächstes Ziel. Sie gilt als die schönste und besterhaltene spanische Kolonialstadt Südamerikas. Eingebettet zwischen Hügeln, die bis zu den Gipfeln besiedelt sind, liegt sie in einem Talkessel auf 2800 m. Obwohl für uns, die aus der Einsamkeit, Ruhe und Stille Kommenden, zu quirlig, zu lebendig, macht es Spaß, bei angenehmen Temperaturen durch die andalusisch angehauchte Stadt mit ihren netten Gassen zu schlendern. Nicht umsonst wurde Sucre 1992 zum Weltkulturerbe erklärt. Die Innenstadt ist kompakt und übersichtlich. Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten liegen nahe beieinander. Wirklich schön sind die Parkanlagen, umgeben von den weiß getünchten Gebäuden im spanischen Stil, die einladenden Kneipen – rege von Studenten besucht – und gemütlichen Restaurants.
Kinder strömen aus den Schulen, je nach Zugehörigkeit in unterschiedlichen Uniformen. Auf der Plaza 25 de Mayo trifft man sich nach einer Jahresfeier eines von Deutschland unterstützten Kindergartens. Die Kleinen sind fotogen herausgeputzt in einheitlicher Uniform, die pechschwarzen Haare der Mädchen als strenger Knoten unter einem Haarnetz gebändigt.
Frustriert stehen wir immer wieder vor einigen der 20 Kirchen, die alle in makellosem Weiß nach spanischem Vorbild erstrahlen. Zutritt ins Kircheninnere hat man nur im Rahmen einer Führung. Gerade rechtzeitig sind wir, um an einer solchen in der Kathedrale teilzunehmen. Mehr als 150 Jahre, vom 16. bis ins 18. Jh., wurde an ihr gebaut. Dementsprechend ist der sehenswerte Innenraum im Renaissance-Stil mit vielen Barockelementen ausgestattet. Der Reichtum der Kirche, der sich auch an den vielen ausgestellten Sammlungsstücken zeigt, wurde auf dem Rücken der ausgebeuteten Urbevölkerung zusammengetragen – eine Tatsache, die bemerkenswerterweise auf der Führung angesprochen wird. Interessant ist auch der Glockenturm der Kathedrale, um den 16 lebensgroße Figuren, darunter auch die 12 Apostel, gruppiert sind.
Um die Casa de la Libertad, das Haus der Freiheit, besichtigen zu können, müssen wir uns ebenfalls einer Führung anschließen. Sehr schön der Innenhof mit den Kreuzgängen. Der Hauptsalon, der im 17. Jh. ein Teil der Jesuitenuniversität war, hat Anfang des 19. Jh. die Revolutionäre beherbergt und ist im Stil der damaligen Zeit erhalten. Alle wichtigen Dokumente der historischen Ereignisse des Unabhängigkeitskampfes von der spanischen Herrschaft werden hier aufbewahrt. Hier wurde auch 1825 die Unabhängigkeitsurkunde Boliviens unterzeichnet. Große Ölporträts der wichtigsten Kämpfer wie Bolívar und Sucre hängen an den Wänden.
In der Kirche San Felipe Neri muss ich ein Ticket lösen, um fotografieren zu dürfen. Auf den Turm hinauf, von dem man einen wunderschönen Blick über die Stadt haben soll, dürfen wir nicht wegen Bauarbeiten.
In einem netten Lokal mit traditioneller andiner Küche genießen wir ein üppiges Mittagessen. Wohl zu üppig, um den Stadtrundgang hinterher fortzusetzen. Außerdem möchten wir unseren ohnehin schon strapazierten Füßen den Weg hinauf zum Kloster La Recoleta ersparen. Wir fahren durch die engen und steilen Einbahnstraßen, die an Stephans Nerven zerren. Schon wieder! Doch die Mühe lohnt. Zwar verzichten wir auf eine weitere Führung durch das wohl sehenswerte Klosterinnere, doch von den Arkaden außerhalb bietet sich ein letzter fantastischer Blick auf diese charmante Stadt in ihrer hügeligen Umgebung.
Entspannt, auf zunächst noch gut ausgebauter und wenig frequentierter Straße, rollen wir Richtung Santa Cruz. Aufgrund geologischer Instabilitäten kommt es hier trotzdem immer wieder zu Straßenschäden. Die Strecke führt durch schroffe Felslandschaft, Schluchten, kakteenbewachsene Berghänge, grüne Flusstäler, hinunter auf 1300 m in landwirtschaftliche Gegend. Ein extremer Gegensatz zu der trockenen hochgelegenen Wüstenregion der Puna. Schwülheiß ist es hier – Temperaturen, an die wir uns erst wieder gewöhnen müssen. Die schier unerträgliche Hitze lässt uns Ausschau halten nach kühlenden Gewässern. Von denen gibt es zwar genug, doch braun-sandig sind die Flussläufe und bei anderen weiß man nicht, was sonst noch darin schwimmt.
Ostern mit dem Wunsch nach einem ruhigen Platz, an dem wir entspannen, runterkommen, alles Erlebte sacken lassen, ich meinen Magen-Darm-Infekt auskurieren kann, rückt näher. Diesen ganz besonderen Platz finden wir in moderater Höhe von 2800 m. Wunderschön ist der Campingplatz Finca La Vispera oberhalb des charmanten, vom Tourismus lebenden Samaipata. Doch leider nur für einen Tag. Über Ostern ist der Platz ausgebucht. Kein Wunder, noch viele andere zieht es hierher, in eine Anlage, die ihresgleichen sucht. Ein Campingplatz mit Gemüse- und Kräutergarten, biologisch angebaut, aus dem man sich nach Herzenslust bedienen kann. Einem kleinen Restaurant, in dem man nur Gerichte mit Zutaten aus eigener Herstellung, liebevoll mit essbaren Blümchen dekoriert, serviert bekommt. Es ist kalt, windig und regnerisch. Ein Trost, sonst würde uns der Abschied, zu dem wir eine große Papiertüte mit Gemüse und Kräutern mitbekommen, noch schwerer fallen.
Um zu den Wasserfällen von Los Espejillos zu kommen, stehen wir vor der ersten wirklichen großen und breiten, mit Stecken markierten Flussdurchfahrt, die ordentlich für Herzklopfen sorgt. Auf miserabler Piste, durch einen grünen Dschungel, in dem gelbe Bäume leuchten und imponierende Bambussprösslinge sich dem herbstlich bedeckten Osterhimmel entgegenstrecken, vorbei an ärmlichen Behausungen, erreichen wir den Campingplatz. Frühmorgens am Ostersonntag machen wir uns auf den Weg zum Wasserfall, der mehrere metertiefe Becken in Kaskaden mit Wasser versorgt. Für den kommenden Tag nehmen wir uns vor, das Badezeug mitzunehmen. Doch immer dunkler werdende Wolken ziehen auf, das Wetter wird schlechter und macht uns nervös. Wir machen uns schleunigst auf den Rückweg, der Fluss darf nicht ansteigen.
Nervig ist in Santa Cruz das Hin und Her im hektischen Berufsverkehr zwischen Einwanderungsbehörde und Zollamt, um die Aufenthalts-genehmigung für‘s Auto und uns zu verlängern. Heiß ist es auch hier auf knapp 420 m. Es gibt keine großartigen Sehenswürdigkeiten, Reichtum und Armut liegen hier Tür an Tür. Hier kommt es zur ersten notwendigen Reparatur. Ein Rahmenriss aufgrund mangelhafter Schweißarbeit in Deutschland, wie bereits an gleicher Stelle auf der anderen Seite auf der ersten Etappe. Wir bleiben nur, solange es nötig ist und fahren weiter. Unterwegs entdecken wir den Ceibo-Baum, der bereits meine Aufmerksamkeit in Urugay, später in Buenos Aires als Alleebaum gepflanzt, auf sich gezogen hat (siehe auch Bericht 2 ). Dieser ist in Südamerika beheimatet, wird bis zu 15 m hoch, der Stamm hat einen Durchmesser bis zu 1 m. Der junge Baum ist mit spitzen Stacheln besetzt, die im Alter immer weniger werden. Er steht jetzt in voller Pracht mit wunderschönen großen, rosafarbenen Blüten.
In Warnes, einer kleinen Ortschaft nördlich von Santa Cruz, in der nichts los zu sein scheint, werden wir von einer Straßenblockade überrascht. Alles ist lahmgelegt, in alle Richtungen – nichts geht mehr! Kilometerlange LKW-Schlangen, soweit das Auge reicht. Bolivien bleibt unruhig. Diese Streiks und Straßenblockaden können Tage dauern, bis die Forderungen erfüllt werden. Jeder Bolivienreisende erfährt mindestens einmal eine solche Blockade, sagt man uns. Nun heißt es, einen Schleichweg zu finden. Dank eines Mopedfahrers geht es auf einem abenteuerlichen Umweg weiter. Nach zig Kilometern stehen wir ratlos vor einer erneuten breiten Flussdurchfahrt. Wir sehen uns schon zur Umkehr gezwungen, würden da nicht auch Ortskundige vor dem gleichen Problem stehen. Diese wagen es zuerst. Wir beobachten, kämpfen uns hinterher. Gerade so geschafft!
Auf dem idyllischen Campingplatz Parque Manantial Tropical mit Naturschwimmbecken finden wir die seit Tagen gesuchte Abkühlung und Entspannung. Glasklar, sauber und erfrischend ist der Bach direkt unter uns. Ein Glückstreffer! Doch diese Idylle hat auch Nachteile. Hungrige, winzige Viecher malträtieren uns. Man hört sie nicht, sieht sie kaum, erst wenn sie wieder zugeschlagen haben, entdeckt man erneute Quaddeln. Vor allem Stephans Blut scheinen sie zu mögen. An ihm saugen sie sich voll, sodass sich ihr Appetit auf mich in Grenzen hält. Er sieht furchtbar aus. Juckreiz und Kratzattacken sorgen für nicht gerade erholsamen Schlaf. Dunkle Regenwolken am Nachmittag lassen täglich auf Regen hoffen. In der letzten Nacht entladen sie sich, ein heftiges Gewitter steht direkt über uns. Der Regen prasselt auf‘s Dach, die kleine Luke wird undicht. Mit Papier, Wanne und Tüchern behelfen wir uns.
Ein gigantisches Infrastrukturprojekt führt durch die Yungas mit der typischen Vegetation, vorbei an baumhohen Farnen, viel Grün, das jetzt durch den Baustaub nur noch in trostlosem Grau erscheint. Auch sonntags schuftet man hier. Möglicherweise wird es Jahre dauern. Im 1. Gang ruckeln wir hoch. Danach geht’s auf guter Teerstraße durch faszinierende Landschaften, vorbei an dem sehr schön gelegenen Stausee Colomi, an dem wir ausgiebig Rast machen.
Bei einem Morgenspaziergang durch die Gassen des kleinen, charmanten und ruhigen Tarata sind noch viele Details aus der Kolonialzeit im Original zu entdecken. Fenster, Türen mit Beschlägen und originellen Türklopfern, Balkone und ganze Häuserreihen füllen erneut meinen Fotospeicher. In der Kirche sind schöne Zedernschnitzereien im Mestizo-Stil zu sehen.
Cochabamba, die viertgrößte Stadt Boliviens, ist umgeben von der Cordillera Oriental und deren über 5000 m hohen Bergen. Hier ist es weniger entspannt. Es herrscht ein totales Chaos, Hektik, hupende Autos, ein ständiges Kreuz und Quer über alle Fahrspuren hinweg, Stephan ist völlig genervt, gönnt sich ein Nickerchen. Er positioniert sich an einer Ecke, wo ich ihn wieder finden kann. Ich ziehe los, um wenigstens ein paar Impressionen mitzunehmen. Nur wenige koloniale Architektur ist hier anzutreffen, überwiegend moderne Gebäude prägen das Stadtbild. Auf der netten, mit Palmen bepflanzten Plaza Principal ist kein Schattenplätzchen zu ergattern. Viele dösen jetzt in der Mittagshitze vor sich hin. Schuhputzer bieten ihre Dienste, Straßenverkäuferinnen preisen schreiend ihre Waren an. Tauben werden von Kindern gefüttert und gejagt, ein beiderseitiges Vergnügen, wie mir scheint. Man trifft sich auf ein Schwätzchen, stillt unbefangen Säuglinge. Ein bunter Rock, darunter bis zu sieben Lagen Spitze, die die Hüfte betonen. Eine nicht unbedingt schlanke Silhouette, doch sehr weiblich. Das ist die Kleidung der Cholitas, der indigenen Frauen. Schön anzusehen, wie sie (nicht nur) ihre Kinder in bunten Tüchern auf dem Rücken tragen. Eine angenehme Atmosphäre, etwas abseits des Straßenlärms. Hoch über mir auf einer Säule thront ein steinerner Kondor. Direkt nebenan steht die im 18. Jh. errichtete Kathedrale, leider geschlossen.
Von dem 260 m hohen „Berg“ inmitten der Stadt genießen wir den Blick hinunter auf die teilweise von Smog bedeckte Stadt. Hier thront die zweithöchste 40 m hohe Christusstatue, sichtbar von fast jedem Punkt der Stadt. Anlässlich des Besuchs (Mai ‘88) von Papst Johannes Paul II. wurde sie zwischen ‘87 – ‘94 errichtet. 2 m höher als ihr brasilianisches Vorbild in Rio de Janeiro u. etwas weniger hoch als die in Polen.
Sicherheitshalber lassen wir hier noch die alten Federpakete nachbiegen und jeweils eine neue Lage einziehen – für 100 Euro bei 5 Stunden Arbeit!
Auf der Strecke nach Oruro, eine für uns unbedeutende Minenstadt, befinden sich mehrere Thermalquellen. Was für ein Luxus für diejenigen, die eine in erreichbarer Nähe haben. Nicht nur für die Körper-, sondern auch für die bergeweise angesammelte Schmutzwäsche. Mir blutet das Herz, wenn ich die zwischen dem Müll gründelnden Flamingos sehe, aber offenbar scheint das sonst niemanden zu stören.
Kilometerweite wilde Müllhalden weisen schon hier auf Oruro hin. Das Zentrum ist umgeben von einem Armutsring, der schier im Müll zu ersticken droht. Staubige und vermüllte Erdstraßen führen in die ärmlichen Wohnviertel der Vorstadt. Dieser Anblick ist für meine ohnehin schon seit Tagen währende Übelkeit nicht gerade förderlich. Sympathischer wirkt das lebhafte Zentrum.
Am kleinen Dorf Copacabanito stehen wir ruhig an einer netten Lagune mit Flamingos. Die Dorfbewohner haben uns wohl auf der Suche nach einem geeigneten Platz beobachtet und bekamen Angst. Eigentlich ist es ja umgekehrt! Prompt kam die Polizei. Doch die netten jungen Polizisten stellen schnell fest, dass von uns beiden Alten keine Gefahr ausgeht und heißen uns willkommen. Jetzt stehen wir unter „Polizeischutz“ – beruhigend!
Mit einem offiziellen Festakt wird Chiles Grenzöffnung in Pisaga / Colchane heute am 1. Mai nach knapp 2 Jahren gefeiert. Presse und offensichtlich wichtige Persönlichkeiten sind vertreten. Wir als erstes Privatauto werden aufmerksam, sehr zuvorkommend und freundlich auf dem ganzen Prozedere, das ca. 2 Stunden dauert, begleitet. Einen Tag später werden „die Europäer“ in der lokalen Zeitung erwähnt. Wir sind wieder in Chile.
Auf der „Ruta del Desierto“, Wüstenstraße, wetteifern im grellen Mittagslicht die Sechstausender mit den Cumuli um die Höhe. Majestätisch erheben sich ihre weißen Gipfel aus der Hochsteppe.
In dieser Einöde grasen große Lamaherden in allen Farb- und Mustervarianten. Auch für die ebenso genügsamen Vicuñas scheint es hier ausreichend Futter zu geben. Die Klosterruine Caripaya, abseits der Straße, erregt unsere Aufmerksamkeit.
Dann macht der „Circuito de las Quebradas“, die Strecke der Schluchten, seinem Namen alle Ehre: Berg- und Talfahrt mit teils engen Kurven, gut ausgebaute Straße mit plötzlichen Schlaglöchern, auf gefühlt 20 km an die 10 Autowracks neben u. in den Schluchten mit den dazugehörigen Kreuzen – eine echte „ruta de la muerte“, eine Todesstrecke.
Hinaus geht es jetzt wieder in die echte Wüste. In das trockenste Gebiet der Erde, die Atacama. Kein Grashalm wächst hier. Die Straße zieht sich wie ein schwarzes Band durch die braune, menschenleere Wüsteneinsamkeit, bergab bis auf eine riesenhafte topfebene Pfanne. Die „Ruta del Desierto“, die Wüstenroute.
Hinunter geht’s auf Meereshöhe nach Iquique. Die Stadt liegt auf einem schmalen Küstenstreifen am Fuße der Kordillere. In dieser Atacama-Küstenwüste befindet sich eine Düne inmitten der Stadt, von der Bevölkerung als Drachenhügel bezeichnet. Mit einer Höhe von 230 m, 4 km Länge und 1 km Breite gigantisch groß und 2005 zum Naturschutzgebiet erklärt. Wir schlendern durch das Zentrum mit dem netten Park u. dem dominierenden Uhrenturm aus dem 19. Jh.
Ein wirklich lohnender Stopp ist die Salpetergeisterstadt Humberstone. In den 30er Jahren bauten britische Investoren hier für 3700 Arbeiter eine Wohnsiedlung. Wir erkunden diese Stadt mit ihren leeren Straßen, stillen Plätzen, verlassenen Gebäuden u. den im Wind quietschenden Straßenlaternen. Die alten Gebäude strömen einen ganz besonderen Geruch aus. Holzdielen knarren unter den Füßen, Fenster und Türen klappern im Wind. Eine fast mystische Stimmung!
Die Schule, Kirche, das Kino u. Theater, das Freibad, Sportplatz, das Krankenhaus, der Dorfplatz mit dem Uhrturm, die Markthalle, in der man alles für‘s tägl. Leben Notwendige kaufen kann, sind im Original erhalten. Der Lohn wurde in Gutscheinen ausbezahlt, die nur in den firmeneigenen Läden eingelöst werden konnten. Neben der Siedlung stehen die rostigen Maschinen des Salpeterwerks. Eindrücklich kann man sich in das damalige Leben hineinversetzen.
Das ca. 1,5 km entfernte Santa Laura wirkt noch öder. Das riesige Salpeterwerk mit den Schloten u. Mühlen ist perfekt erhalten. Heute gehören beide Siedlungen zum Unesco Weltkulturerbe.
Die kleinen Wüstenoasen Pica und Matilla sind nicht wirklich interessant. In Pica sind die Thermen saisonbedingt geschlossen, in Matilla ist einzig sehenswert die Kirche mit dem separat stehenden Glockenturm. Im mit viel Liebe zum Detail eingerichteten Inneren ist das Abendmahl durch lebensgroße Wachsfiguren dargestellt. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten.
Ein heißer Fahrtag durch die Wüste erwartet uns Richtung Pisagua. Die schnurgerade Strecke der Panamericana, parallel zur Küstenkordillere durch die Reserva Pampa de Tamarugal, führt durch einen Wald mitten im Salar. Der Wind ist heiß und kräftig, treibt teils gewaltige Windhosen vor sich her. Heiße Luft flimmert über dem Asphalt und erweckt den Eindruck, auf eine Wasserfläche zuzufahren. Immer stärker wird der Wunsch nach einem Platz am Pazifikstrand.
Mit einer Google-Earth-Aufnahme lotst uns unser Sohn Daniel nach Pisagua Viejo, 6 km vom kleinen Fischerdorf Pisagua entfernt. An diesem herrlichen Fleckchen Erde verbringen wir einen „Urlaub vom Urlaub“, lassen die Seele baumeln. Oberhalb vom Strand lassen wir uns häuslich nieder und genießen den Blick auf die Bucht. Obwohl die Herbstsonne das Baden noch zulassen würde, ist die Wassertemperatur weniger einladend. Außerdem beobachten wir Strömungen, die zur Vorsicht mahnen. Der nur knöcheltiefe Sog ist angsteinflößend. Fasziniert beobachten wir gewaltige Wellenberge. Sie türmen sich auf, überschlagen sich donnernd, schießen schäumend an den Strand und peitschen an die Felsen direkt neben uns. Hunderte von Pelikanen sind unsere unmittelbaren und einzigen Nachbarn. Ein Teppich von anderen Seevögeln treibt auf dem Wasser, die sich das Futter mit ihnen teilen. Davon scheint es genügend zu geben, auch für die Seelöwen, die sich draußen vom Meer brüllend bemerkbar machen.
Doch das Wetter wird schlecht. Morgennebel hüllt die Bucht ein. Er lichtet sich zwar, doch der graue wolkenverhangene Himmel gibt der Sonne keine Chance. Nach drei Tagen fahren wir den nächsten ca. 100 km entfernten Strand an, Caleta Camarones. Hier sind wir dem Wasser noch näher. Bei strahlender Sonne beobachten wir Seehunde. Sie strecken ihre Köpfe aus dem Wasser, spielen mit den Wellen, surfen und springen. Verzweifelt gebe ich es auf, einen Sprung mit der Kamera festzuhalten. Sie sind zu schnell, oder ich zu langsam. Nach vier Tagen holt uns auch hier das schlechte Wetter ein und erleichtert uns den Abschied.
Die von Gustave Eiffel erbauten Kathedrale und das alte Zollhaus von Arica, der nördlichsten Stadt Chiles, liegen an einer jetzt im Herbst wenig besuchten Parkanlage. Von dem Wahrzeichen Aricas, dem Felshügel Morro, haben wir einen weiten Blick über den Hafen und die Stadt.
Nach einem kurzen Bummel durch die Fußgängerzone machen wir uns auf den Weg in das 12 km entfernte San Miguel de Azapa. Wir besichtigen im sehr interessant gestalteten archäologischen Museum die ältesten Mumien der Welt. Hier bietet sich ein Überblick über Kulturen prähispanischer Völker dieser Gegend, v.a. der Chinchorros. Viertausend Jahre pflegten die Angehörigen das Einbalsamieren ihrer Toten. Das Fleisch wurde entfernt, mit heißer Asche die Körper getrocknet, ein Gemisch aus Erde, Wolle, Federn und Pflanzenfasern füllte die Bauchhöhle, durch Schilf, Pflanzenfasern und Erde wurden die Muskeln ersetzt, die Haare für Perücken verwendet. Mit Farben aus Eisenoxid und Mangan wurden die Körper bemalt und in Umhängen gehüllt auf dem Rücken begraben. Leider ist das Fotografieren im Museum verboten. Im Garten sehen wir zum ersten Mal einen Baumwollbaum.
Weiter geht die Fahrt durch das landwirtschaftliche Gebiet östlich Aricas. Eines der Hauptnahrungsmittel in den Anden ist die Kartoffel, die ursprünglich aus dieser Gegend kommt. Hunderte Sorten in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen werden hier in Bolivien angebaut.
Das wichtigste Grundnahrungsmittel ist jedoch der Mais, den es bereits zu Inka-Zeiten unter anderem in Popcorn-Variante gab. Quinoa, Alflalfa, Weizengemüse und Obst werden je nach Höhe und Jahreszeit angepflanzt.
In Poconchile wird meine Kirchensammlung um eine weitere ergänzt. Sie stammt aus dem 17. Jh., genau wie der dazugehörige Wüstenfriedhof.
Nun heißt es wieder die Motorhaube hochbinden und im 1., höchstens 2. Gang stetig bergauf zu zuckeln. Von Meereshöhe bis auf 3500 m geht es im ständigen Auf und Ab durch bergige Wüstenlandschaft nach Putre. Vereinzelt wachsen hier in dieser für Mensch und Tier feindlichen Gegend die unter Naturschutz stehenden Cardones-Kakteen. Komplett eingestaubt werden wir auf einer 15 km langen Baustelle. Unzählige bolivianische Tanklaster sind wie wir Richtung Grenze unterwegs.
In Putre akklimatisieren wir uns auf 3500 m, um für die Höhen im Nationalpark Lauca und der Reserva Nacional Las Vicuñas gewappnet zu sein, wo wir einige Tage verbringen wollen. In diesem malerischen Schutzgebiet, in dieser Hochgebirgsregion, erwarten uns wunderschöne Landschaften und Wildtiere wie Nandus, verschiedene Flamingoarten und Vicuñas. Hier begegnen wir zum ersten Mal den Viscacha, hasenähnlichen Tieren mit dem charakteristischen buschigen Ringelschwanz.
Zwischen den Felsbrocken leuchten die Polster der hellgrünen Yareta-Pflanze, die nur in diesen Höhen zu finden ist. Sie wächst in einem jahrhundertelangen Prozess und steht unter Naturschutz. Man meint, ein weiches Moos vor sich zu haben, doch steinhart ist das dünne Geflecht, das sich über die Felsen zieht.
Am Fuß des höchsten (6350 m) chilenischen Vulkans Parinacota liegt der gleichnamige Weiler. Ein kurzer Rundgang im einsamen u. stillen Dorf mit der dreihundertjährigen kleinen Adobekirche zeigt uns das einfache Leben der wenigen Hochandenbewohner in karger Wüstenlandschaft.
Von einem Aussichtspunkt aus bietet sich ein wunderschöner Blick auf die Laguna Cotacotani mit schwarzen Lavazungen und Schlackenkegeln, die von Wasser umgeben sind.
Was wir zunächst als Salzablagerungen der vielen Bäche und Tümpel identifiziert haben, stellt sich eindeutig als Eisschicht heraus. Wir sind bereits im Nationalpark Lauca auf 4400 m. Bei wolkenlosem blauem Himmel bläst der Wind eisig, fegt mich schier von den Beinen. Wir rechnen mit einer bitterkalten Nacht. Der Motor wird wieder eingepackt, das Auto gen Osten ausgerichtet, um die Morgensonne als Starthilfe zu nutzen. Totenstill ist die Nacht, ein sternenklarer Himmel zum Greifen nah.
Am frostigen Morgen werden wir von aufmerksamen Vicuñas beobachtet. Der glasklare Bach neben uns ist fast zugefroren u. deshalb verzichten wir auf die darin geplante Morgentoilette.
In der einmaligen andinen Hochgebirgslandschaft reiht sich nun ein fotogener Vulkan mit strahlend weißem Gipfel an den anderen. Darunter auch der Vulkan Guyatire. Dass er noch aktiv ist, zeigt sich an der kräftigen weißen Rauchwolke, die er in den blauen Himmel spuckt. Immer wieder ist unser Blick auf den perfekt geformten Parinacota gerichtet.
Ein Hinweisschild macht darauf aufmerksam, dass wir hier in der Heimat der Kondore sind. Und schon entdecken wir einen, der schwerelos über uns seine Kreise zieht. Wer kennt ihn nicht, den Song „El Condor Pasa“ von Simon und Garfunkel aus den 70ern. Dieser Song begleitet uns jetzt in verschiedenen Versionen auf dem Weg zur glitzernden Salar de Surire. Er gilt als der schönste des gesamten Hochplateaus, umgeben von einigen Sechstausendern. Auf einem kurzen Spaziergang beobachten wir am kargen Ufer unzählige Flamingos, die aufgeplustert eng beieinander stehen, den Kopf gegen den starken Wind gerichtet.
Die letzten 2 Tage in Chile verbringen wir 30 km vor der Grenze am aufgestauten Río Lauca mit Blick auf den schlafenden Parinacota, der sich auch sonst in unterschiedlichen Umgebungen immer wieder fotogen präsentiert. Hier erleben wir die bisher kältesten Nächte. Schöne Eisblumen zieren unsere Fenster, die Wasserleitung zum 1. Mal eingefroren, der Diesel ausgeflockt, sodass die Heizung nicht anspringt. Sowohl die auf dem Wasser festgefrorenen Enten, als auch wir, warten geduldig auf die wärmende Morgensonne. Bitterkalte Nächte werden auch in der nächsten Zeit auf uns zukommen. Es geht weiter in bolivianische Andenhöhen und in die Hauptstadt La Paz.
Wir verabschieden uns endgültig von Chile, das uns immer wieder mit seiner überwältigenden Natur u. Landschaftsvielfalt fasziniert hat. Fast nirgendwo sonst hat die Natur solch extreme Wunderwerke geschaffen wie in Chile, die bei uns unauslöschliche Eindrücke hinterlassen haben.
Juli 2022
13. Bericht – 26.07.2022
Dieser ganz spezielle Grenzübertritt wird uns, obwohl wir schon viele Grenzen überquert haben, in Erinnerung bleiben. Völlig überfordert sind die jungen Grenzbeamten mit uns, unseren Papieren und dem Camper.
Die Frage, wo wir eigentlich unser Gepäck haben, lässt darauf schließen, dass ein Womo hier völlig unbekannt ist. „Was, darin kann man kochen und schlafen, ein Bad gibt es auch?“ war der Kommentar einer erstaunten Beamtin. Bei ihren Kollegen sehen wir auch nur in ratlose Gesichter und fragen uns, wie es wohl Leuten ohne gute Sprachkenntnisse geht. Aufatmen, als endlich alles überstanden ist!
Wenige Kilometer nach der Grenze fahren wir direkt auf den höchsten Berg Boliviens, auf den Vulkan Sajama (6542 m), zu. Majestätisch ragt er mit seiner weißen Krone in den Himmel. Zu Füßen liegt ihm der Altiplano mit einer bizarren Landschaft, ockerfarben, steinig und karg. In diesen biegen wir auf eine Piste in den gleichnamigen Nationalpark und zu weiteren Vulkanen ab. Weniger spektakulär und wesentlich kleiner als sein chilenischer Nachbar Lauca präsentiert sich dieser Park. Er scheint auf den ersten Blick menschenleer. Doch dann erkennt man Lehmhütten und Weiler, die farblich mit der Umwelt verschmelzen. Lama-Herden, die wohl einzige Einkommensquelle, grasen hier. Originell sind die bolivianischen Vogelscheuchen – hier sind es Lamascheuchen.
Schwefelgeruch liegt in der Luft. Wir sind an unserem Etappenziel angekommen. Aus einigen Geysir-Löchern steigen Dampfwolken auf, andere blubbern vor sich hin. Viel zu heiß ist das Wasser um unterzutauchen, doch wohl ideal zum Eierkochen, was einige mehr oder weniger erfolgreich versucht haben. Kein Vergleich jedoch sind diese Geysire zu den faszinierenden im Tatio! Am Rande des Geysirfeldes entdecken wir einen Bach mit herrlich warmen Gumpen. Wäre doch nur Sommer, oder der Weg dahin – bei diesem eisigen Wind – kürzer. Wir würden sie als Badewanne nutzen.
Die Fahrt nach La Paz, noch sind es ca. 300 km, ist keineswegs eintönig, wie es zunächst den Anschein hat. Schöne und interessante Abschnitte machen die Strecke abwechslungsreich.
Es dämmert bereits, als wir im Süden von La Paz im vornehmen und ruhigen Villenviertel Calacoto in unserem Hotel ankommen. Für vier Tage haben wir uns hier einquartiert und genießen den Aufenthalt mit all seinem Luxus. Eine angenehme Atmosphäre, die dafür sorgt, dass wir uns wohlfühlen.
Von hier aus tauchen wir ein in die höchstgelegene Großstadt der Welt, in diese außergewöhnliche Andenmetropole. Sie liegt in einem Talkessel in eindrucksvoller Kulisse, inmitten einer bizarren Landschaft. Über unendliche Zeiten hat der Regen das Erdreich aus den rötlichen Bergen gewaschen und einen Landstrich mit eingeschnittenen Tälern und Canyons geschaffen, die bis zum Kamm bebaut sind. Der mächtige, 6439 m hohe Vulkan Illimani und zwei weitere schneegekrönte Sechstausender umgeben die Stadt.
Leider stinkt die braun schäumende Brühe – seltsamerweise von Müll verschont – des Flusses Coqueyapu, der teils unterirdisch durch die Stadt zieht, zum Himmel. Beeindruckend ist der Höhenunterschied von 1000 m innerhalb der Stadt. Nicht weniger beeindruckend ist das ausgeklügelte Gondelsystem, das 2012 von Evo Morales, dem damaligen indigenen Präsidenten, an eine österreichische Firma in Auftrag gegeben wurde. 2014 liefen die ersten drei Linien, inzwischen ist die elfte in Planung.
Außerhalb der Stoßzeiten erreicht man damit schnell und bequem das Zentrum auf 3650 m und die koloniale Altstadt mit den zahlreichen indigenen Märkten, die wir erkunden wollen. Doch für jemanden, der unter Höhenangst leidet – zu denen auch ich gehöre – ist das absolut kein Vergnügen. Von den faszinierenden Ausblicken auf die Stadtvillen mit Dachterrassen und Gärten, auf die Schluchten der modern verspiegelten Hochhäuser und die tief unten liegende Dachlandschaft bekomme ich so gut wie nichts mit. Nur wenige Fotos bringe ich zustande, Stephan muss nun diesen Job übernehmen. Mit butterweichen Knien verlasse ich die Achterkabine an der Endstation auf der Plaza Camacho.
Bei den teils steilen Straßen, Gassen und Treppen, die wir nun zu Fuß auf unserer Besichtigungstour bewältigen müssen, kommen wir auf dieser Höhe schnell aus der Puste. Was für ein Lärm, Geschrei, Geschiebe und Geschubse! Dazwischen die hupenden, stinkenden und sich durchquälenden Autos und Minibusse, die die hier Wohnenden in die obersten und hintersten Winkel bugsieren. Wir lassen uns von der Menschenmasse mittreiben, mit den adrett in Kostümen und schwarzen Anzügen Bekleideten, die zwischendurch noch schnell vor der Arbeit ihre Schuhe polieren lassen.
Und dann das Elend am Straßenrand! Die gegerbten Gesichter, wie altes Leder, lassen auf die Höhensonne und die harte Lebensweise schließen. Mit bettelnden Händen und weinerlicher Stimme versucht mir eine alte Indígena etwas von ihrem vor sich liegenden Häufchen Gemüse zu verkaufen. Ein junge Frau macht Karaoke, und ich frage mich, ob ihrem Kleinkind das gleiche Schicksal bestimmt ist. Andere hocken eingehüllt in Lumpen apathisch hier, auch ihre Büchsen sind noch leer. Ein trostloser, ein trauriger Anblick! Mit mulmigem Gefühl und schlechtem Gewissen gehe ich vorbei, schaue beschämt auf die andere Seite. Doch fängt man bei einem an, etwas in die Büchse zu werfen, wo hört man auf? Es sind einfach zu viele!
Mit dem bunten, quirligen Treiben auf der Plaza San Francisco erreichen wir unseren Orientierungspunkt. Hier beginnt unser Rundgang. Die gleichnamige Basilika an diesem Platz ist ein imposantes Bauwerk des Andenbarock. Die Fassade aus dem 18. Jahrhundert wurde von indigenen Steinmetzen aufwendig mit Blumenranken, exotischen Vögeln, maskenhaften Gesichtern und tropischen Früchten gestaltet. Sehenswert ist auch das Innere mit barocker Sakralkunst. Aus Zedernholz sind Altäre und Kanzel geschnitzt.
Hinter der Kirche bringt uns die steil aufsteigende Straße erneut in Atemnot. Neben dem Kupferschmied, dem Schlosser, dem Knoblauchhändler, dem Panflötenbauer, dem Plattenladen, dem Kunsthandwerk (Schmuck, Felle, Stoffe etc.) ist alles vertreten. Fast alles, was das Herz begehrt, ist hier zu finden.
Hier zweigt der berühmte und geheimnisvolle Hexenmarkt ab. Schnell sieht man, warum der Mercado de Hechicería so genannt wird. Alte Frauen hocken inmitten ihrer frischen und getrockneten Heilkräuter. Skurril sind die für den Hausbau wichtigen getrockneten Lama-Föten, die in allen Größen zu haben sind. Eingemauert in den vier Hausecken sollen sie Glück bringen, Leid von den Bewohnern abhalten. Tiegel mit Elixieren türmen sich neben Amuletten und anderen Glücksbringern, z.B. goldene Perlchen bei Kinderwunsch, und viele mehr. Gegen und für alles und mit dem Glauben, der Berge versetzt, kann man sich hier eindecken. Das Warenangebot halb obskur, halb handfest. Doch die indigene Bevölkerung ist von der Wirkung überzeugt, behandelt sich seit Jahrhunderten mit traditionellen Heilmitteln, die wesentlich preiswerter als die Tabletten aus der Apotheke sind.
Der wichtigste und denkwürdigste Platz ist die Plaza Murillo mit dem Parlamentsgebäude im klassizistischen Stil und dem Präsidentenpalast mit der Ehrengarde in historischer Uniform. Hier befindet sich der Hauptschauplatz im Kampf um die Unabhängigkeit, der mit der Gründung der Republik Bolivien 1825 beendet wurde. Auf diesem Platz wurde der erste Freiheitskämpfer und Rebellenführer Murillo gehängt. Dem 1946 amtierenden Präsidenten widerfuhr das Gleiche durch die wütende Volksmenge. An beide erinnert eine Statue. Die Kathedrale daneben erscheint uns nicht sonderlich bemerkenswert. Die Türme wurden erst 1988 endgültig fertiggestellt.
Läuft man die hier beginnende und sehr lebhafte Fußgängerzone entlang, kommt man zur Kirche Santo Domingo aus dem 18. Jh. . Auch diese Fassaden und Säulen sind wieder im Mestizo-Stil reich verziert mit Pumas Pflanzen usw. . Nur sonntags ist sie geöffnet, und so spicken wir durch die kleine Öffnung in der Kirchentür in das eher nüchtern gehaltene Innere.
Die schönste Gasse von La Paz ist die Calle Jaen. Über das Kopfsteinpflaster, vorbei an kleinen und bunten kolonialen Hausfassaden, glaubt man sich in eine andere Zeit, ins 18. Jh., versetzt.
Auch am dritten Tag schweben wir erneut mit dem Teleférico von 3100 m auf 4100 m zum höchsten Punkt hinauf, nach El Alto. Mit kurzen Unterbrechungen beim Umsteigen heißt es für mich 45 min. Augen schließen. Dieser ehemalige Vorort und Armenviertel von La Paz ist heute eine eigenständige Stadt mit 1,1 Millionen Einwohnern. Größer als La Paz selbst mit 950.000. Sie ist hässlich, schmutzig, es gibt keine großartigen Sehenswürdigkeiten. Von den einst ärmlichen Blech- und Holzhütten, die wir erwartet haben, ist nichts mehr zu sehen. Dank Evo Morales, der für „sein“ Volk viel getan hat, wurden diese Behausungen durch Backsteinhäuser ersetzt. Was für uns unfertig erscheint, die unverputzten Backsteinwände, ist bewusst gewollt. Ein sichtbarer Beweis, nicht mehr zu der in Lehmhütten hausenden Landbevölkerung zu gehören. Früher war man sehr arm und elend, heute nur noch arm, was nicht zu übersehen ist.
Von einer Aussichtsplattform aus kann nun auch ich den Blick über dieses gigantische Häusermeer unter uns, das wie ein Riesenpuzzle erscheint, und die schneebedeckten Gipfel im Hintergrund schweifen lassen. Hier in El Alto liegt auch der internationale, relativ kleine, doch höchste Zivilflughafen der Welt auf 4020 m. Wegen der dünnen Luft sind Start- und Landebahn wesentlich länger als üblich.
Nun verlassen wir La Paz und erkunden die nähere Umgebung. Das nur 10 km entfernte Mondtal mit seinen bizarren Felsformationen aus Sandstein steht unter Naturschutz. Trotzdem wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis das ohnehin kleine Gebiet unter dem Besiedlungsdruck verschwinden wird. Ein ausgeschilderter Rundweg führt durch die durch Erosion und Klimagegensätze entstandenen Gebilde. Von hier aus ist die exponierte Felsnadel zu sehen, die als die Muela del Diablo – Backenzahn des Teufels – bezeichnet wird.
Zurück in La Paz beobachten wir die inzwischen noch länger gewordenen LKW- und Busschlangen. Jetzt, am vierten Tag, hat sich der Versorgungsengpass beim Diesel noch immer nicht aufgelöst. Die Regierung verhält sich zurückhaltend, kann nicht zugeben, dass der Staat eigentlich pleite ist und den Treibstoff nicht mehr vollständig subventionieren kann. Auch unser Tank leert sich und zwingt uns, eine weitere Nacht in „unser“ Hotel einzuziehen, worüber ich nicht unglücklich bin. Am folgenden Morgen werden wir von den Ausläufern des starken Erdbebens (7,1) im nahen Südperu aufgeschreckt. Das Hotel schwankt, die bodentiefe Fensterfront schiebt sich hin und her.
Nachdem wir mit Ach und Krach und Verhandlungen 70 Liter Diesel ergattern können, wagen wir uns auf die Ruta de la Muerte, eine der gefährlichsten Straßen der Welt, die uns durch die Yungas hinunter ins bolivianische Tiefland, nach Coroico bringen soll. Doch dichter Nebel holt uns ein, nimmt uns die atemberaubende Aussicht inmitten des üppig grünen Bergnebelwaldes und zwingt uns zur Umkehr. Das Umkehren an einer Ausweichstelle auf dieser schmalen und abenteuerlichen Piste sorgt für ordentlich Herzklopfen. Von den insgesamt ca. 40 km haben wir lediglich 8 km zurückgelegt, doch die haben uns gereicht!
Bis in die höchsten Lagen ist man derzeit mit der Kartoffelernte beschäftigt. Nach zig verschiedenen Sorten, Färbungen und Größen werden sie sortiert und zum Trocknen ausgelegt. Danach folgt eine wohl effiziente, doch für uns etwas ungewöhnliche Säuberungsmethode: Die Knollen werden einfach mit den Füßen bearbeitet. Dass sie ursprünglich aus Peru oder Bolivien stammen, das nimmt jedes der beiden Länder für sich in Anspruch.
Mit zwei neuen Hinterreifen verlassen wir La Paz nun endgültig. Es dauert, bis wir die Stadt aus dem Talkessel bergauf mit den unzähligen Lomos (effektive Geschwindigkeitsbegrenzer in Schwellenform) hinter uns haben. Auf der weiteren Fahrt bieten sich schöne Blicke auf die Kordillerenkette. Über die Hochebene, die überwiegend landwirtschaftlich genutzt wird, erreichen wir Tiwuanaku, die Wiege der Präinka-Kultur. Ein Morgenspaziergang führt uns durch die ausgedehnte Ruinenanlage. Bis ins 20. Jh. hinein wusste man die Bedeutung dieser Stätte der Tiwuanaku-Kultur nicht zu schätzen. Schon die spanischen Eroberer benutzten sie als Steinbruch für ihre Kirchenbauten. Bis heute weiß man nicht, wie die Präzision der Steinbearbeitung bewerkstelligt wurde. Selbst die späteren Inkas bewunderten diese und erreichten sie selbst nicht.
Von diesen Eindrücken und Kulturtrümmern gesättigt, geht es östlich von La Paz weiter auf einer 40 km langen und mehrfach von Erdrutschen beschädigten Serpentinenstraße. Von 4100 m hinunter auf 2700 m ins kleine Bergdorf Sorata. Man sagt, das sei der schönstgelegene Ort Boliviens, ein Eldorado für Wanderbegeisterte und Bergsteiger. Es ist Freitag Abend, dunkel, als wir ankommen. Im Chaos der engen Gassen finden wir einen Übernachtungsplatz. Den hässlichsten, den wir bisher angesteuert haben. Doch Hauptsache eben, abseits vom Zentrum und einigermaßen ruhig. Ein noch größeres Chaos herrscht am folgenden Morgen, und in kürzester Zeit sind wir eingeparkt. Etwas Außergewöhnliches muss hier los sein. Es ist die Feria de la Chirumana, die nur ein- bis maximal zweimal im Jahr hier stattfindet. Die mittelalterlich anmutenden kopfsteingepflasterten Gassen und Treppen sind mit Marktständen überfüllt. Schöne Fotomotive bietet dieser farbenfrohe, quirlige Markt mit den am Boden hockenden Indígenas mit ihren typischen Melonenhüten und bunten Trachten. Von überall sind sie hierher geströmt, um zu kaufen und zu verkaufen. Eine Fülle von auf dem Boden ausgebreiteten Obst und Gemüse wechselt mit Fleisch- und Brotständen ab. Kanarienvögel flattern aufgeregt in ihren kleinen Käfigen, Hühner, Gänse und Truthähne sorgen zusätzlich für eine lautstarke Kulisse. Paletten von Eiern – wie frisch die wohl noch sind? – türmen sich aufeinander. Exotische und appetitanregende Düfte von den Straßenküchen ziehen über den Markt. Ein authentisches Treiben, das wir in dieser Form und Größe bisher noch nicht erlebt haben. Der Abstecher hat sich gelohnt, trotz der Strecke, die wir nun wieder hinaufzuckeln müssen. Blühender Ginster, Fingerhüte, Pampasgras, das im Gegenlicht silbrig glänzt und sich die Straße entlangzieht, der Blick auf die gegenüberliegenden Berghänge mit Feldern und Äckern in den höchsten Steilhängen, Wolken, die teils unter uns liegen, die weiße Cordillera Real und die strahlende Sonne machen die Fahrt zu einem Erlebnis.
Und dann liegt es vor uns – das schier endlose Andenmeer. Der Titicaca-See, in dem der blaue Himmel wie von einem glänzenden Spiegel reflektiert wird. Der höchstgelegene schiffbare See der Welt, den sich Bolivien und Peru teilen, ist 13 Mal größer als der Bodensee und liegt auf 3810 m. Im stillen und kleinen Dorf Quilima finden wir einen netten Platz direkt am Seeufer. Die täglich strahlende Sonne trägt dazu bei, dass wir uns wohl fühlen – wir bleiben vier Tage. Die Dorf-Honoratioren sind am Sonntag unterwegs, man ist rührig hier, einiges wird auf den Sommer hin geplant. Großes Interesse zeigt man auch uns gegenüber, unsere kleine „Wohnung“ wird bestaunt. 10 Köpfe strecken sich neugierig durch die Tür und heißen uns willkommen.
Doch dann wird es wieder Zeit, weiterzuziehen. Copacabana ist das nächste und letzte Ziel hier in Bolivien. An der mit 800 m engsten Stelle des Sees pendeln Fähren von San Pablo nach San Pedro de Tiquina. Es stürmt, der See hat einen ordentlichen Wellengang. 45 Minuten wartet man ab, ein Hupkonzert veranstalten die ungeduldigen Fahrer von Bussen und Autos. Ich beobachte eine kleine Yacht, die auf den Wellen tanzt, hin- und hergeworfen wird, und habe es überhaupt nicht eilig, auf eine dieser „Holzschüsseln“ zu kommen. Todesängste stehe ich aus, sehe mich im ungesicherten Husky über Bord gehen.
Nach all der Aufregung der letzten Tage ist Copacabana auf der gleichnamigen Halbinsel in einer netten Bucht genau der richtige Ort, um Ruhe und Erholung zu finden. Jetzt im Winter sind die Hotels verwaist und die Strandbuden verrammelt. Die unzähligen Schwäne – Tretboote – werden erst wieder im Sommer lebendig. Wir schlendern durch diesen beschaulichen und bedeutendsten Wallfahrtsort Boliviens. Überall finden sich Marktstände, an denen eine Spezialität dieser Gegend angeboten wird: Große bunte Säcke gefüllt mit Maiskörnern, die wie Popcorn ausgebacken werden. Architektonisch interessante Hostels ziehen unsere Blicke auf sich.
Den steilen Kreuzweg hinauf zum Gipfel des Kalvarienberges überlassen wir den Tausenden von Pilgern, die am Karfreitag hierher strömen.
In der 1820 fertiggestellten Basilika mit ihren bunten Kacheln und eindrucksvollen Kuppeln findet der Palmsonntagsgottesdienst statt. Palmwedel und kunstvoll Geflochtenes wird gesegnet. Unmittelbar nach dem Gottesdienst werden die Türen geschlossen, so dass eine nähere Besichtigung leider nicht möglich ist. Übrigens: Die Schutzheilige des Titicacasees, die vielverehrte Jungfrau von Copacabana hat dem berühmten Strand von Brasilien seinen Namen gegeben, und nicht umgekehrt. Die ein Meter hohe Statue mit einer Krone aus purem Gold wurde im 16. Jh. aus dunklem Holz geschnitzt, daher auch der Beiname „dunkle Jungfrau“.
Von der Terrasse eines gemütlichen Lokals, aus windgeschützter Ecke heraus, genießen wir die Wintersonne und den leckeren Pisco Sour, das Nationalgetränk Chiles. Wir beobachten Backpacker, die sich in Ausflugsbooten zur größten der 36 Inseln des Sees, der Isla del Sol, auf den Weg machen und sich dem Sturm und der unruhigen See ausliefern. Mein Entschluss steht fest: Dieser auch für uns geplante Ausflug fällt im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser. Die Wetterprognose verheißt keine Besserung in den nächsten Tagen.
Nach vier Tagen geht die Fahrt weiter zur nahegelegenen peruanischen Grenze. Immer wieder ergeben sich letzte Ausblicke auf den See. Nun verlassen wir Bolivien endgültig. Es ist schade, dass viele dieses Andenland mit seinen 10 Millionen Einwohnern und der Fläche dreimal so groß wie Deutschland nur als Transitland nutzen. Mit all der Schönheit, den Naturgewalten, der Weite und Einsamkeit der Andenbergwelt – wir werden es nie vergessen.
Slideshow der Bilder aus den Berichten 12 & 13: