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Deutschland | Argentinien
September 2019
5. Bericht – 30.09.2019
Auf nach Buenos Aires
Knapp 270 km trennen uns von dem nächsten Ziel – Buenos Aires. Diese faszinierende Stadt ist ein Erlebnis und hat so viel zu erzählen. Ich auch. Deshalb verdient sie ihren eigenen Bericht.
Ohne große Mühe, dank der idealen Reisezeit, lassen sich auf dem Weg dahin schöne Standplätze finden, die uns mehr als nur einen Tag zum Bleiben verlocken. Kein Rad dreht sich an solchen Tagen. Campingplätze sind sehr einfach ausgestattet, nicht vergleichbar mit europäischem Standard. Was brauchen wir mehr als Idylle und Ruhe. Doch hin und wieder sind WiFi (für die Berichte), heiße Duschen und der Luxus von frischem Brot zum Frühstück nicht zu verachten. Vom „Wohnzimmer“ aus – noch ist es recht kühl an diesem Morgen – beobachten wir den regen Schiffsverkehr nach bzw. von BA kommend. Riesengroße Schubverbünde – undenkbar auf dem Rhein. Der Río Paraná ist nach dem Amazonas der zweitlängste Fluss Südamerikas.
Einige Tagesausflügler angeln sich ihr Grillgut, das mittags bzw. bei weniger Glück erst abends auf den Teller kommt. Danach geht’s heimwärts – wir sind wieder alleine.
Ein Hund „bewacht“ uns, wird dafür mit Streicheleinheiten und Futter verwöhnt und von üblen Kletten befreit. Nun schiebt er Wache, bis wir uns wieder auf den Weg machen.
Je näher wir BA kommen – schon längst ist die Skyline in Sicht – desto breiter wird die Fahrbahn. Breit ist auch der Gürtel der Elendsviertel, zig km vom Zentrum entfernt. Ein extremer Kontrast zur Innenstadt, wie wir später feststellen. Die Landflucht ist groß, mit hoher Arbeitslosigkeit wächst die Armut. Der Gürtel wächst mit. Bei 3 Mio. von den insgesamt 14 Mio. Einwohnern bilden die Slums eine ganz eigene Stadt, wie sie Europa nicht kennt und die im Müll zu ersticken droht. Lange beschäftigt mich dieses unwürdige Leben und erzeugt beklemmende Gefühle.
Uruguay und Argentinien sind unter allen lateinamerikanischen Ländern die mit dem größten europäischen Einfluss. Nicht umsonst hat BA die Bezeichnung „das Paris Südamerikas“. Trotz seiner Größe ist es recht kompakt, die wichtigsten Sehenswürdigkeiten lassen sich per pedes erkunden.
Bewusst außerhalb der Rushhour rollen wir, auf einer mittlerweile sechsspurigen Fahrbahn, dem teuersten Stadtviertel – Puerto Madero – entgegen. Dank des Navis und i-overlander finden wir ohne Probleme „unseren“ Platz neben den bis zu 40-stöckigen Hochhausgiganten. Nur wer richtig Geld hat wohnt hier und kann die sehr gepflegten Grünanlagen genießen. Der videoüberwachte Parkplatz bietet uns relative Sicherheit. Ceibo-Bäume, in Uruguay eher selten gesehen, bilden hier eine Allee. Sicher ein wunderschöner Anblick, wenn sich die roten Blüten zeigen.
Auf dem ersten Erkundungsgang, nur wenige Minuten vom Standplatz entfernt, flanieren wir entlang des Naturschutzgebiets, das sich BA als Ruhezone bewahrt hat. Alle 100 m steht eine Imbissbude, deren appetitanregenden Gerüchen wir nicht widerstehen können. Lomitos – Steakbrötchen – lecker!
Tags darauf starten wir die Stadtbesichtigung von der „Haustüre“ aus. Einst war dieser Stadtteil ein schmutziges und heruntergekommenes Hafengelände, doch jetzt, nach umfangreichen Renovierungsmaßnahmen, ist es eine schicke Wohn- und Geschäftsgegend. Hier tragen alle Straßen Frauennamen. Man hat nämlich festgestellt, dass es in der ganzen Stadt kaum Straßen gibt, die nach Frauen benannt sind. Ein Museumsschiff liegt am Kai, eine avantgardistische Fußgängerzugbrücke, die Puente de las Mujeres, die über eines der vier Hafenbecken führt, soll ein tangotanzendes Paar darstellen. Auch unser Weg geht über diese Brücke ins „Microcentro“, das Zentrum der Stadt. Laut ist es hier, hektisch und voller Häuserschluchten. Die einzige Schneise bildet die Avenida 9 de Julio, die angeblich breiteste Straße der Welt: Pro Fahrtrichtung 8 Auto- und 2 Busspuren! Hier steht auch der 70 m hohe Obelisk, der zum 400. Jahrestag der Stadtgründung errichtet wurde.
An vielen architektonischen Kostbarkeiten aus der Belle Époque, dem späten 19. Jh., bleiben wir stehen. Beeindruckend sind u.a. das Teatro Colón, der Palacio Barolo, das Cabildo, der Regierungssitz Casa Rosada, die unzähligen Museen , das Capitol, die vielen wunderschönen Parkanlagen und die Plaza de Mayo, das geografische und symbolische Herz Buenos Aires‘. Überragt wird die Casa Rosada von dem gigantischen Gebäude der Banco de la Nación mit einer achteckigen Kuppel. Durchmesser 50 m. In der Wirtschaftskrise 2001 wurden die Guthaben der kleinen Sparer hier eingefroren und diese durch die anschließende Abwertung des Peso quasi enteignet – ein Drittel der Argentinier stürzte in Armut. Die Bank musste vor dem Volkszorn geschützt werden, der damalige Präsident per Hubschrauber flüchten, …
Eindrucksvolle Kirchen lohnen einen Besuch, insbesondere die Catedral Metropolitana, die hier an dieser Plaza, dem weltlichen Machtzentrum, steht. Darin zeigt sich der ehemals starke Einfluss der katholischen Kirche. Die klassizistische Säulenfront gleicht einem griechischen Tempel und stammt aus der Kolonialzeit, wie auch das Rokoko-Altarretabel und die Christusfigur.
Das älteste Café, 1858 gegründet, ist das Café Tortoni. Die Einrichtung im Stil der Belle Époque, seit 1888 fast unverändert, lockt viele Touristen an. Man steht davor in einer Schlange – auch wir. Einlass gibt’s sobald ein Tisch frei wird. Das Warten lohnt sich.
Viele Bäume säumen die Straßen. Ein auffallender Kontrast zeigt sich zwischen den von Autoabgasen pechschwarz gefärbten Stämmen und Ästen und den jetzt im Frühjahr hellgrünen neuen Blättern.
Das kleine Viertel Monserrat, das ursprünglich nur aus 5 Gebäuden bestand, wurde 1661 von Jesuitenpadres errichtet. Den Namen „Manzana de las Luces“ – Häuserblock des Lichts – trägt es, weil hier die wissenschaftlichen Einrichtungen untergebracht waren. Im neoklassizistischen „Colegio Nacional“ studiert noch heute die Elite der Porteños.
Weiter geht’s nach San Telmo, in den ältesten und kleinsten Stadtteil (nur 1,2 qkm), der neben La Boca als der authentischste gilt. Enge Straßen mit Kopfsteinpflaster sind eine Herausforderung an unsere ohnehin schon müden Füße und Beine. Etwas heruntergekommene, einst prachtvolle Gebäude mit vielen kleinen Geschäften, der Mercado mit seinen Obstständen, Antiquitäten- und Krimskramsbuden, geben dem Viertel, das seit 1991 denkmalgeschützt ist, ein besonderes Flair. In den 1960er Jahren zogen viele Künstler hierher und waren mitbeteiligt an dessen Aufwertung. Auf der Plaza Dorrego stellen viele ihre Werke aus, Tangotänzer zeigen ihr Können. In üblen Spelunken und Bordellen San Telmos entstand vor ca. 140 Jahren der melancholische Tango, bevor er in den 1920er Jahren die noblen Ballsäle des reichen Nordens eroberte.
Der Hop-On Hop-Off Bus bringt uns nach La Boca, den ultrabunten Stadtteil, der nicht nur uns magisch anzieht. Er ist nicht der sicherste, aber der touristischste ganz Argentiniens. Das warme Nachmittagslicht lässt die farbenprächtigen Häuschen in dem nur 100 m langen Caminito leuchten. Pappmachéfiguren, u.a. von Evita und Maradona, schauen herab auf den bunten Flohmarkt. Fahnenschwenkend, tanzend und trommelnd ziehen verschiedene Gruppen durch die Straßen. Wir haben Glück, heute ist der Tag der „Las Llamadas“, eine besondere Art, den Frühling zu begrüßen.
Für die Fußballfreunde noch ein Bonbon: Die „Bonbonera“ (Bonbonschachtel), 1940 eröffnet, ist mit mehreren Architekturpreisen ausgezeichnet. Es ist eines der spektakulärsten Fußballstadien der Welt, das der „La Boca Juniors“. Die blaugelben steilen Tribünen überragen das ganze Stadtviertel. Gelb und Blau sind hier auch die vorherrschenden Farben.
Zurück in Puerto Madero machen wir bei herrlichem Frühlingswetter einen Ausflug in die nahegelegene Reserva Ecológica Costanera Sur, ein Naturschutzgebiet am Río de la Plata. Verschieden lange Wanderwege werden sonntags von hunderten erholungs- und natursuchenden Ausflüglern genutzt.
Mit dem Besuch des sehenswürdigen Cementerio La Recoleta, der größten Touristenattraktion des ganzen Landes, beenden wir die Stadtbesichtigung. Auf einem Areal von 6 ha, einem Irrgarten von Familiengrüften, prunkvollen Mausoleen und üppig verzierten Grabsteinen – von Neoklassizismus über Jugendstil bis Art Déco – kann man Stunden verbringen. Hier sind die bedeutendsten Persönlichkeiten des Landes bestattet. In der Vorhalle findet man einen Lageplan, sehr nützlich bei 4800 Gräbern!
Zu einer Pilgerstätte hat sich das Grab von Evita Perón – für viele die Heldin der Nation in den 1940er Jahren, die sich für die Ärmsten einsetzte – entwickelt. Die eher schlichte Grabstätte aus schwarzglänzendem Marmor wird vor Raubgrabungen durch schwere Panzerplatten geschützt.
Pietätlos werden viele alte zerfallene, von Spinnweben eingehüllte Särge in ihren Grabstätten von den Besuchern als Müllkippe benutzt.
Neben dem Friedhof steht eine der schönsten und ältesten (1732) Kirchen der Stadt. Weiß und schlicht mit kolonialer Fassade und einem schönen Glockenturm. Das reich geschmückte Innere ist weitgehend original erhalten.
Unweit des Friedhofs steht seit 2002 die Flor Metálica, eine 20 m hohe Skulptur. Morgens und abends öffnet sie ihre glänzend metallenen Blütenblätter.
In dieser Stadt mit ihren 47 Barrios (Stadtteile) gäbe es noch so viel zu entdecken. Doch wir haben uns auf das Wichtigste beschränkt. Übersättigt von all den Eindrücken zieht es uns nach viereinhalb Tagen weiter in ruhigere Gefilde. Der Diesel- (ca. 75 Cent pro Liter!!), der Wassertank und die Vorräte werden aufgefüllt. Es dauert einige Zeit, bis man Vorortslärm und -hektik hinter sich hat.
Doch dann öffnet sich eine der weitesten Landschaften der Erde: die Pampa.
Oktober 2019
6. Bericht – 15.10.2019
Am Rande der Pampa – die Atlantikküste entlang
In La Plata ist die größte Sehenswürdigkeit die Kathedrale, eine der größten in Südamerika. Neogotisch, ab 1885 nach europäischen Vorbildern gebaut, 1903 eingeweiht. Die Fensterrose der Fassade ist eine Kopie derjenigen von Notre Dame in Paris. Das Chorgestühl schnitzte ein Tiroler.
Weiter geht‘s Richtung Atlantikküste. Teils große Sumpfgebiete, vereinzelte Salinen, Lagunen und kleine Seen prägen hier das Landschaftsbild der weiten Pampa Húmeda (feuchte Pampa). Große Rinderherden wirken wie schwarze oder braune Punkte. Kleine Baumoasen lockern die Landschaft auf, meist stehen hier Estancias, umgeben vom Holz für den Eigengebrauch.
An der argentinischen Atlantikküste sind die Strände endlos weit. Wir flanieren durch verschiedene Badeorte mit schönen Strandpromenaden, die alle auf Massentourismus ausgelegt sind. Hierher strömen die Argentinier zwischen Januar und März. Sind dann die Fensterläden in den vielen Hotels, Apartment- und Ferienhäusern geöffnet, die Restaurants und die unzähligen Bars, Diskotheken und Shoppingcenter überfüllt, ist es vorbei mit der Ruhe, so erzählt man uns. Während sich Leute wie wir nach dieser Ruhe sehnen, Ausschau halten nach einsamen Buchten, suchen die Argentinos das pulsierende Leben, dieses Gewimmel und die Geselligkeit. Auch am Strand liegt Handtuch an Handtuch.
Eine Ausnahme ist Villa Gesell. Hier wohnen auch viele Einheimische in einer Dünenlandschaft. Fast alle Häuser sind in die Natur eingefügt, die Dünen bewaldet, alle Wege außer der Hauptstraße sind aus Sand. Schönes Flair! Die wenigen Hochhäuser sind sicher nicht im Sinne des damaligen deutschstämmigen „Dünenzähmers“ Carlos Gesell.
Mar del Plata, das größte Seebad und Fischfangzentrum des Landes, mit einem 20 km langen Strand, ist jetzt im Frühjahr ebenfalls menschenleer. Hier haben wir den ersten hautnahen Kontakt zu Seelöwen, einer kleinen Kolonie im Fischereihafen. Ihren „Duft“ und den des Fischfangs haben wir noch kilometerweit in der Nase.
Ohne Mühe finden wir schöne Standplätze an der gesamten weiteren Küste.
Nach Bahía Blanca erfolgt die obligatorische Obst- und Gemüsekontrolle durch die Polizei. Wenig später die Fleischkontrolle. Auch hier eine kurze Nachfrage und ein Blick ins Wageninnere. Jetzt kann der Kühlschrank wieder gefüllt werden.
Mehrere Tage sind wir durch grenzenlos scheinende Gras- und Buschebenen unterwegs. Teils auf gut ausgebauten, kaum frequentierten Asphaltstraßen, dann auf Pisten unterschiedlicher Qualität. Mal gut sandig und angenehm weich zu fahren, mal übelste Abschnitte mit tiefen, betonharten Spurrillen. Nicht erst hier bewährt sich das verstärkte Fahrwerk.
Nur die Bergkette Sierra de la Ventana bringt Abwechslung in die ab hier sprichwörtliche Pampa, die schier endlose und menschenleere Weite. Trotz der dornenreichen Einöde finden sich immer wieder kleine blühende Kostbarkeiten.
Mit Viedma ist das Tor zu Patagonien, der trockensten Gegend Argentiniens, erreicht. Die Bevölkerungsdichte ist gering, selbst in dichtbesiedelten Gegenden sind es im Schnitt 3 Menschen / Quadratkilometer. Hier gewinnt der Begriff „Weite“ noch einmal eine andere Dimension. Es scheint, als sei der Horizont noch weiter in die Ferne gerückt. Der Wind ist unser ständiger Begleiter, er bläst durch alle Reißverschlüsse. Nachts frischt er auf und rüttelt uns durch.
Eine schöne Strecke führt an die fossilienreiche Steilküste des nördlichen Golfo San Matías. In El Cóndor nisten auf ca. 12 km an die 35.000 Felsensittiche. Jetzt ist Turtelzeit und es herrscht ein ohrenbetäubender Lärm. Doch es ist schön, sie zu beobachten.
Am Strand der Reserva Faunística de Punta Bermeja „La Lobería” dösen Hunderte von Seelöwen. Im Sommer (Dezember) werden es Tausende. Dann kommen ihre Jungen zur Welt.
Viel Konzentration verlangt eine Erd/Sand“straße“ auf dem Weg nach Bahía Creek, einem winzigen Dörfchen inmitten des größten zusammenhängenden Dünengebiets Patagoniens. Hier gibt es sogar einen zentimetergenau zu treffenden „WiFi-Point“, der aber nicht hundertprozentig zuverlässig funktioniert.
Dann wird es abenteuerlich. Wir fühlen uns wie damals in der Sahara. Dünen erobern die Piste, eine Umleitung – nicht viel besser – lässt den Blutdruck steigen. Dank Allrad und Untersetzung wühlt sich unser Husky durch diesen 6 km langen Sandabschnitt. Seine Feuerprobe ist bestanden!
In Sierra Grande kommen wir in die erste martialische Gendarmeriekontrolle. Genaue Überprüfung von Mensch und Auto nimmt Zeit in Anspruch.
Puerto Madryn ist das Sprungbrett zur Halbinsel Valdés. Einsam und baumlos ist diese wüstenartige Strauchsteppe mit drei kleinen Salzseen im Zentrum, mit 35 m unter dem Meeresspiegel die tiefsten Punkte in Südamerika. Lange Zeit war diese Halbinsel am „Südrand der Welt“ auch für Naturforscher wie Charles Darwin ein Sehnsuchtsziel und Abenteuer, heute ist sie Weltnaturerbe der UNESCO, für Touristen nur stellenweise zugänglich. Unterwegs dahin, von einem erneut wunderschönen Standplatz an der Playa El Doradillo, können wir vom „Wohnzimmerfenster“ aus die ersten Wale beobachten.
Auf dem Campingplatz in Puerto Pirámides verbringen wir die nächsten Nächte, freies Campen ist im Schutzgebiet strengstens verboten. Tagsüber erkunden wir die Halbinsel auf eigene Faust, saftige Geldstrafen riskieren wir nicht und bleiben auf den erlaubten Pisten. Wir begegnen Guanakoherden (lamaähnliche Kleinkamele) – genügsam wie die Schafe – Gürteltieren, Hasen und Graufüchsen. Den Magellanpinguinen, diesen tollpatschigen Kerlchen im Frack (50-60 cm, 5 kg), die im Oktober nisten, könnte man stundenlang zusehen. In der Nähe der Estancia San Lorenzo leben ca. 600.000 in ihren Höhlen. Wir laufen durch ihr weitläufiges „Wohngebiet“. Ein langer Weg zum Wasser für diejenigen, die in den „Vororten“ leben müssen, da sie den Verteilungskampf um die vorderen Plätze verloren haben. Angst vor Menschen kennen sie nicht, von nichts und niemandem lassen sie sich stören, ein friedliches Nebeneinanderher. Zu einer blutigen Auseinandersetzung kommt es nur, wenn die Angebetete oder das Wohnungseigentum verteidigt werden müssen. Eine große Seelöwenkolonie beobachten wir in der Nähe von Puerto Pirámides. 2,5 m lang und bis zu 300 kg schwer – ein „Leichtgewicht“ im Vergleich zu den Walen. Jedes Männchen schart einen Harem von bis zu 20 Weibchen um sich, den er eifersüchtig gegen seine Rivalen verteidigt.
Eine abenteuerliche Bootsfahrt bringt uns den Giganten des Meeres greifbar nahe, ein unvergessliches Erlebnis. Auffällig ist der große Kopf, der zwischen ¼ und ½ der gesamten Körperlänge (bis 18 m!) ausmacht. Über 50 t schwer können die südlichen Glattwale werden. In dem warmen und geschützten Wasser des Golfo Nuevo finden sie sich im Frühling (September/Oktober) zur Paarung. Möwen attackieren sie, um an das begehrte Fett unter der Haut zu kommen. Üble Wunden entstehen dabei.
Nach mehreren Tagen verlassen wir bei fast sommerlichen Temperaturen die Halbinsel Richtung Süden. Ein Abstecher bringt uns an die Playa Isla Escondida. Ein kolossaler See-Elefant bewacht seinen Harem und die säugenden Jungtiere. 5 – 7 m lang und 2,5 bis 4,5 t schwer werden diese Alphatiere. Die Weibchen sind wesentlich zierlicher, wiegen „nur“ bis 500 kg. Im Unterschied zu den Seelöwen, die die Hinterflossen zur Fortbewegung nutzen können, robben die See-Elefanten allein mit Hilfe der Vorderflossen. Haben sie erst einmal ihre Masse in Bewegung gesetzt, sind sie erstaunlich schnell. Hier bleiben wir einige Tage, erkunden die wunderschöne Bucht und beobachten die Tiere aus unmittelbarer Nähe. Träge dösen sie vor sich hin und scheinen schier leblos. Nur das Heulen der Milch fordernden Sprösslinge übertönt das Meeresrauschen. Doch immer wieder gibt‘s „Zickenkrieg“, auch der gewaltige Bulle hat Stress, seinen Harem unter Kontrolle zu halten und ihn gegen die auf der Lauer liegenden Rivalen zu verteidigen. Brutal und sehr blutig endet so ein Kampf.
Knapp 5 Tage bleiben wir, dann geht’s auf einer Piste weiter durch eine abwechslungsreiche und schöne Landschaft. Punta Tombo lassen wir links liegen – zu kommerziell, zu viele Touristen. Unterwegs genießen wir unser erstes Guanako-Steak.
Nach vielen Tagen Natur pur stehen wir auf einem Campingplatz mit WiFi in der Nähe von Comodoro Rivadavia, einer gesichtslosen Ölförderstadt. Sobald wir diesen Bericht hochgeladen haben, steuern wir unser nächstes Ziel an, Puerto Deseado.
November 2019
7. Bericht – 05.11.2019
Vom Atlantik in den Westen
Nach mehreren Tagen in El Calafate stehen wir vor gesperrten Dieselsäulen. Lange Schlangen bilden sich auch vor den Benzinzapfsäulen. Panisch reagieren die Leute, man befürchtet auch hier einen Engpass. Doch wir fahren relaxed an unseren Platz am Seeufer zurück und bleiben einfach einen Tag länger. Der schwarze Himmel verkündet Regen und verlockt nicht zu weiteren Unternehmungen. Großputz ist angesagt – viel zu oft wurde er verschoben. Auch die Fortsetzung meiner Berichte …
Rückblick:
Mit Patagonien haben wir immer die Gletscherwelt im Süden in Verbindung gebracht. Doch dass es auf dem Weg dahin schon so viel Schönes zu sehen und zu erleben gibt, haben wir nicht erwartet. Schon jetzt hat uns diese Landschaft in ihren Bann gezogen. Der argentinische Teil Patagoniens liegt im Regenschatten der Anden und ist deshalb ein sehr trockenes Gebiet. Ungebremst fegt der z.T. eisige Wind durch die Steppe. Nur niedrige, dornige und harte Sträucher und Büschelgräser können hier wachsen. Doch hin und wieder findet man doch ein paar Farbkleckse.
Wir sind inzwischen in Santa Cruz, der zweitgrößten und am dünnsten besiedelten Provinz, angekommen.
Puerto Deseado selbst ist uninteressant, wir konzentrieren uns auf die Umgebung. Hier in der Ría fließt eigentlich der Fluss Río Deseado ins Meer, doch die Strömung drückt Meerwasser 40 km tief ins Land – ein ideales Brutgebiet für Seevögel. Eine schöne fjordähnliche Flusslandschaft mit Inseln. In 160 Mio. Jahren haben die Gezeiten diese beeindruckende Sandsteinküste geformt. Wie schön wäre es, hier alles aus den Campingstühlen heraus zu betrachten.
Doch dieser Wind!!! Immer mehr gewinnt er an Kraft, rüttelt uns kräftig durch, steigert den Spritverbrauch im Gegenwind und lässt weiterhin kein Sitzen im Freien zu.
Zwei lohnende Abstecher bringen uns zu wunderschönen Buchten: Cabo Blanco und Punta Buque. Tagelang erleben wir in unendlicher Weite die Einsamkeit. Guanakos, wilde Pferde, die scheuen Nandus, die panisch das Weite suchen, bevor man die Kamera zücken kann, kreuzen die Fahrbahn. In diesen Buchten treffen wir wieder Kolonien von Pinguinen und Seelöwen. Die argentinische Atlantikküste – was für ein Tierparadies!
Gerne wären wir länger in Punta Buque geblieben, doch der Himmel lässt eine Regenfront befürchten. Die Wühlspuren in der Piste auf dem Hinweg haben wir noch allzu gut vor Augen. Eine Schlammschlacht wollen wir nicht riskieren. Wir flüchten die 130 km in 5 Stunden zurück nach Puerto Deseado. Gottlob „trocken“.
Um 8 Uhr morgens bei 3° C starten wir zur Isla de los Pingüinos. Es ist die einzige Stelle in Patagonien, an der man die lustigen und skurrilen Felsenpinguine, die eigentlich auf den Falklandinseln beheimatet sind, aus nächster Nähe beobachten kann. Rot sind ihre Augen, witzig ihre gelb-schwarzen Schopffedern – die „Punks“ unter den Pinguinen. Die kleine Insel teilen sie sich mit den etwas größeren, aber friedlicheren Magellan-Pinguinen. Diese sind schon fleißig am Brüten. Sie legen 2 Eier, die immer wieder umgedreht werden, um sie gleichmäßig zu erwärmen. Die Felsenpinguine kümmern sich im Gegensatz dazu lediglich um das zweite, etwas größere Ei ihres Geleges. Auf dem Rückweg springen die kleinen Commerson-Delphine neben dem Boot – ein gelungener Ausflug!
Im Monumento Natural de los Bosques Petrificados de Jaramillo bestaunen wir fasziniert die 150 Mio. Jahre alten Baumreste. Sie sind älter als die Anden. Bis zu 100 Meter hoch, im Durchmesser bis zu 3 Meter und 1000 Jahre alt wurden diese Baumgiganten. Die Vulkantätigkeit im Jura mit gewaltigen Stürmen legte diese Wälder flach. Von der Vulkanasche wurden sie bedeckt und versteinerten. Millionen Jahre der Erosion legten sie wieder frei. „Sprissele“ – die Elztäler kennen sie (für nicht-Elztäler: Holzsplitter zum Anfeuern) – könnte man einsammeln, so echt wirken sie.
Bereits der Weg hierher durch diese farbenreiche, wüstenähnliche Urlandschaft ist wunderschön.
In San Julián wird mir wieder bewusst, in welcher Jahreszeit wir uns befinden. Flieder blüht hier überall. Leuchtendes Grün zeigen die jungen Blätter der Bäume. In einem Lokal an der Uferpromenade genießen wir fangfrischen Fisch. Höchst interessant ist auch die originalgetreue Nachbildung der „Viktoria“. Sie war eines der fünf Schiffe von Magellan, der 1520 hier einlief um zu überwintern. Von dieser Expedition kehrte 1522 nur sie mit Mühe und Not nach Spanien zurück, mit 18 Überlebenden von einst 265 Seeleuten.
Im Nationalpark Monte León sind wir auf einem längeren Spaziergang zur Küste unterwegs. Den Blick immer wieder nach hinten gerichtet – Pumas streifen hier durch die Steppe. Sie sind scheu – trotzdem!!!
Nun verlassen wir die argentinische Atlantikküste (5100 km lang) Richtung Westen auf einer rauen Schotterpiste. Dann ein Plattfuß! Bei Graupelschauern und kaltem Sturm kommt beim Reifenwechsel Freude auf….
In El Calafate angekommen, wird der Reifen für einen Apfel und ein Ei repariert. Hier lebt man vom Tourismus. Auffallend die vielen Backpacker und Tramper, die schon jetzt unterwegs sind. Es gibt nichts wirklich Interessantes, dafür jede Menge Restaurants, Hostels, Souvenirläden, Bars, Reiseagenturen etc. Trotz allem eine schmucke und sehr gepflegte Touristen-Kleinstadt. Wir stehen außerhalb auf einer Anhöhe, mit Blick auf den türkisfarbenen Lago Argentino und Schneeberge. Eine malerische Landschaft!
Ein erster Ausflug führt uns über eine Erdstraße zur Estancia Nibepo Aike am Lago Roca, umgeben von schneebedeckten Bergen – Patagonien zeigt sich uns von seiner bisher schönsten Seite. Aufgrund der geschützten Tallage ist hier Rinderhaltung möglich. Wir beobachten Gauchos bei ihrer Arbeit.
Eine Tagestour bei dramatisch wolkenverhangenem Himmel und eisiger Kälte bringt uns in den südlichen Abschnitt der Gletscherwelt des Parque Nacional Los Glaciares, 1981 zum Welterbe der UNESCO erklärt. Von Punta Bandera am Lago Argentino aus starten wir zu den großen Gletscherzungen (Spegazzini, Upsala) mit ihren riesigen Eiswänden. Der Gletscher Upsala gehört zu den größten der Welt. Beeindruckender ist jedoch der Perito Moreno. Die 5 km breite Zunge schiebt sich, im Gegensatz zu fast allen anderen nicht mehr wachsenden Andengletschern, 40 – 50 cm pro Tag in den Lago Argentino. „Alte“ Eisberge, da komprimiert, schwimmen in unterschiedlichen Blautönen auf diesem See. „Jüngere“, mit Lufteinschlüssen, strahlen in reinem Weiß.
Mit dem Nachschub hat’s nun geklappt, der Tank ist gefüllt. Auf einem Teilstück der legendären Ruta 40 geht’s durch den argentinischen Süden. Die chilenische Grenze kommt immer näher …
Hier folgt ihr uns zum nächsten Routenabschnitt (Chile / Argentinien nordwärts).
Hier kommt ihr zurück zum vorherigen Routenabschnitt (Uruguay).
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