Uhrzeit
Deutschland | Chile / Argentinien
Dezember 2019
8. Bericht – 25.12.2019
Vom Ende der Welt nach Chubut
Auf staubiger, material- und nervzehrender Schotterpiste holpern wir, wieder in Argentinien, von Esquel aus Richtung Chubut-Tal, in der Hoffnung, dass sich dieser Abstecher auch wirklich lohnt.
Vor uns eröffnet sich eine fantastische Vulkanlandschaft, durch die sich der Rio Chubut schlängelt. Der Piedra Parada, ein einsamer, gigantische Vulkanschlot, erhebt sich senkrecht 271 Meter aus der ehemaligen Kraterlandschaft. Steil ragen in der Schlucht Cañadón del Buitre beeindruckende Felswände gen Himmel, grün leuchtet die kupfersulfathaltige Mesa Verde, eine tischförmige Gesteinsformation – beeindruckend. Die schneebedeckten Andengipfel, die wir die letzten Tag in Südchile hinter tief hängenden grauen Wolken und Regenschleiern nur erahnen konnten, zeigen sich von hier aus in der Ferne vor strahlend blauem Himmel. Wir genießen den wunderschönen Standplatz direkt am tiefen Fluss und tauchen bei sommerlichen Temperaturen immer wieder darin unter (Januar und Februar entsprechen den europäischen Juli und August). Hier machen wir „Urlaub vom Urlaub“.
Es ist Weihnachten!! Keine besinnliche, doch ein guter Zeitpunkt, in dieser Stille und bei dieser Ruhe die letzten Wochen Revue passieren zu lassen.
Inzwischen sind wir genau vier Monate unterwegs und ca. 15.000 km gefahren. Die Straßen und Pistenverhältnisse haben ihren Tribut gefordert: 2 neue Reifen waren fällig, ein neuer Kühler und Schweißarbeiten am Auspuff. Doch im Vergleich zu anderen Overlandern verlief alles harmlos. Aber der Reihe nach …
Seit dem letzten Bericht sind 7 Wochen vergangen, viel Aufregendes und Beeindruckendes haben wir erlebt.
Durch immense Weite der Steppe erreichen wir von Calafate aus die Industriestadt Río Gallegos. Hier strandet man nur, wenn – wie bei uns – ein Zwangsaufenthalt ansteht. Anderthalb Tage verbringt unser Gefährt in einer Werkstatt, um die Ursache des beunruhigenden Geräuschs zu finden und zu beheben. Gottlob ist es nicht, wie zuerst vermutet, der Turbo, sondern eine Summe verschiedener kleinerer Faktoren. Nun heißt‘s nur noch die Kabine wieder aufsetzen. Normalerweise kein Problem für uns, aber bei diesem Wind…. Männerpower ist gefragt. Der angekündigte Sturm von 120 km/h entpuppt sich als deutlich harmloser. Mit nur 100 km/h hilft er uns auf der Weiterfahrt Sprit sparen, schiebt uns durch die Unendlichkeit der Pampa. Abwechslung bringen später Vulkankegel in diese Einöde. Schön ist die wenig bekannte Laguna Azúl, ein Kessel vulkanischen Ursprungs. Auf steilem Pfad gelangen wir an den windstillen Kratersee.
In Monte Aymond ist die chilenische Grenze erreicht. Da man Fruchtfliegen, die Maul- und Klauenseuche etc. fürchtet, wird das Einfuhrverbot von Obst, Fleisch, Milchprodukten und Sämereien scharf kontrolliert. Blicke wirft man auch in hinterste Winkel unserer „Wohnung“.
An der engsten Stelle der Magellan-Straße setzen wir nach Feuerland über. Ein kurzes Stück geht’s durch die chilenische patagonische Einöde, bis wir in San Sebastian wieder auf die argentinische Seite wechseln. Feuerland, das südlichste besiedelte Gebiet der Welt, das sich Chile und Argentinien teilen, kommt dem Südpol am nächsten. Eine Mischung aus monotoner Steppe, Weideland, in dessen schier unendlicher Weite riesige Schafherden grasen, Vulkan- und Sumpfgebiete, tiefblaue und grüne Seen, Waldtäler mit dem Duft der Südbuchenblüten, den ich am liebsten einfangen würde, prägen das Landschaftsbild dieser riesigen Insel. Viele Bäume sind mit pflanzlichen Parasiten befallen – vom Wind zerzauste und herabhängende Flechten, dem sog. „Altherrenbart“, sowie die gelben mistelähnlichen Kugeln, die „chinesischen Laternen“. Vor allem der Darwin-Pilz, das „Indianerbrot“, erweckt mein Interesse. Bis zu golfballgroße gelbe Kugeln, wie Champignons in Scheiben geschnitten, landen als Pilzgericht auf unseren Tellern. Unsere Geschmacksnerven scheinen sich von denen der Tehuelche doch etwas zu unterscheiden – aber einen Versuch war es wert, meine Neugier ist befriedigt.
Öl und Gas werden in der kargen Umgebung von Río Grande gefördert. Eine grandiose Berglandschaft genießen wir auf der Fahrt am Fjordsee, dem Lago Fagnano, entlang über den Paso Garibaldi nach Ushuaia. Wir sind am Ende der Welt! Von hier sind es nur noch 1000 km bis zur Antarktis. Ushuaia, die südlichste Stadt der Welt, hat wenig zu bieten, ist aber Ziel vieler Kreuzfahrtschiffe. Im Nationalpark Feuerland erleben wir wandernd die Landschaft: kristallklare Bäche, dunkelrote Moore mit Farnen, moosbewachsene Krüppelbäume, romantische Buchten und den typische Südbuchenwald. Schöne Weitblicke eröffnen sich auf den Beagle-Kanal. Auf einem Parkplatz endet völlig unspektakulär die argentinische Ruta 3, die Panamericana, die abgesehen von wenigen Lücken Alaska mit Feuerland verbindet.
Mitten in einer zu Tode genagten Südbuchenzone, in der gespenstisch die Baumreste gen Himmel ragen, befinden sich imposante Biberdämme. Der Felle wegen wurden vor ca. 60 Jahren 25 Paare ausgesetzt. Doch diese waren nicht nur unermüdlich mit dem Dammbau beschäftigt – Zeugen dieser nächtlichen Betriebsamkeit sind die vielen sogenannten „Bleistifte“ – sondern auch mit der Produktion ihrer Nachkommen. Mangels natürlicher Feinde und trotz eines ausgesetzten „Kopfgelds“ ist ihre Zahl auf über 100.000 Tiere angewachsen und zum ökologischen Problem geworden.
Zurück auf der chilenischen Seite geht’s nach Porvenir, einem netten kleinen Städtle mit bunt gestrichenen Häusern. Tsunami-Tafeln weisen im Notfall den Weg in die Sicherheit. Über die Magellanstraße gelangen wir wieder aufs Festland, zur Hafenstadt Punta Arenas. Auch hier farbenfrohe Häuser, die an Skandinavien erinnern. Prächtige Paläste und beeindruckende Familiengruften auf dem sehenswerten 4 ha großen Friedhof, der zu den schönsten weltweit gehören soll, zeugen vom einstigen Reichtum der Schafbarone. Ins Auge stechen mir die ungewöhnlich in Form gestutzten Zypressen. Doch ein bitterkalter Wind hält uns von weiteren Erkundungsgängen ab. Das Ausmaß der vor kurzem stattgefundenen Unruhen ist nicht zu übersehen. Zu diesen kam es in Verbindung mit den Wahlen Anfang Oktober wegen sozialen und wirtschaftlichen Missständen, der Korruption etc. vor allem in Großstädten Chiles und Boliviens.
Über Schotterpisten queren wir die patagonische Steppe und erreichen bei strömendem Regen Puerto Natales, das Tor zum berühmten Nationalpark Torres del Paine (UNESCO-Biosphärenreservat). Wir versorgen uns mit Lebensmitteln und erledigen die notwendigen Formalitäten für den mehrtägigen Aufenthalt im Park. Er zählt zu den schönsten der Welt und fasziniert mit markanten Felsformationen: den drei gigantischen und majestätischen Granittürmen Torres del Paine, den spektakulären Paine-Hörnern, den Cuernos, und dem höchsten Berg des Parks, dem Cerro Paine Grande. Mit seiner abwechslungsreichen Landschaft und Tierwelt ein Eldorado für Wanderer und Kletterer. Auch wir schnüren mehrmals unsere Stiefel und wandern, umgeben von teils abgebrannten Buchenwäldern, gletschergespeisten Lagunen, glasklaren Flüssen und tosenden Wasserfällen. Der steile Anstieg zum Aussichtspunkt „Cóndor“ wird mit einem überwältigenden 360° Panoramablick auf das gesamte Paine-Massiv und den Pehoé-See belohnt.
Guanako-Herden sind unterwegs, jetzt mit ihrem Nachwuchs. Faszinierend ist auch die vielfältige Flora: Pantoffelblumen, Orchideen, der dornige Calafate-Busch mit seinen unzähligen gelben Blüten blüht mit dem roten Feuerbusch um die Wette. Ganze Berghänge bringt der orange bis kräftig rote Polster-Andenstrauch zum Leuchten. Leider haben mehrere gewaltige Brände (1985, 2005, 2011) riesige Flächen Wald- und Buschland zerstört. Der letzte wütete 58 Tage. Kein Wunder bei diesem Wind, der sich vor allem in dieser Gegend von seiner stärksten Seite zeigt.
Ein weiteres Highlight in diesem Park: Der Grey-Gletscher, der seit 2000 um die Hälfte geschrumpft ist, aber immer noch zu den größten Gletschern Patagoniens gehört. Vom Südufer des Sees aus erstreckt sich ein weiter Blick auf die vorgelagerten Eisberge des Gletschers. Blauschimmernde, teils haushohe Eisbrocken treiben nah am Ufer, wo sie ihr Ende finden.
Von der flachen Pampa geht es über die Grenze, erneut über El Calafate, in ein weiteres herrliches Wandergebiet inmitten der argentinischen Anden, dem Nationalpark Los Glaciares Norte. Schon von Weitem erkennt man die unverwechselbare Form der Berggiganten Fitz Roy (3375m) und der spitzen Felsnadel des Cerro Torre (3128 m). Letzterer zählt zu den schönsten Gipfeln weltweit. Hier erspähen wir die ersten Kondore. Mit einer Flügelspannweite von 3 Metern gleiten sie, vom patagonischen Wind getragen, erhaben am Himmel entlang. Wir fühlen uns wohl im Bergdorf El Chaltén am Fuße des Fitz Roy-Massivs und bleiben einige Tage zum Wandern (u.a. zur malerischen Laguna Capri) und Faulenzen. Auch der Wettergott ist uns gewogen – an einem klaren Morgen zeigen sich bei Sonnenaufgang für wenige Minuten die fotogenen Bergspitzen in strahlendem Rot.
Tief beeindruckt von der Berg- und Gletscherwelt heißt es nun Kilometer herunterspulen. Die Gegend ist langweilig, das Wetter schlecht. Unser nächstes Ziel: die Cueva de las Manos. Ihre prähistorischen Felszeichnungen gehören zum UNESCO- Weltkulturerbe. Dem aufnahmefähige Gestein, der Konservierung der Farben mit Urin und Guanakofett, vor allem aber der witterungsgeschützten Lage, ist es zu verdanken, dass die Malereien noch heute, nach 3000 – 8000 Jahren, in einem solch guten Zustand sind. Unter uns liegt die Schlucht, in der Wildpferde grasen und sich Weiden ausbreiten. So wie bei uns das japanische Springkraut zur Plage geworden ist, sind es hier die Weiden.
Im Valle Cañadón Colorado fasziniert die Farbenpracht der unterschiedlichen Gesteinsschichten.
Das milde Klima von Los Antiguos am Ufer des Lago Buenos Aires macht dieses Örtchen zur „Kirschen-Hauptstadt“ Argentiniens. 3 Wochen später, zur Erntezeit, hätten wir unsere Mägen damit füllen können.
Vor dem einsamen Grenzort Chile Chico geht’s erneut über die chilenische Grenze. Es ist nicht der erste Grenzübergang, relaxed sehen wir der Kontrolle entgegen. Viele Kilometer fahren wir auf staubigen, schmalen und kurvenreichen Schotterpisten durchs Gebirge. An manchen Stellen ist es beruhigend, Leitplanken neben sich zu haben. Auf der einen Seite entlang mächtiger Felsmassive, auf der anderen – meiner Seite – liegt tief unten der See, ungebremst und in freiem Fall erreichbar. Gegenverkehr ist kaum zu erwarten – Gottlob!
Bei Puerto Bertrand fließt aus dem gleichnamigen See der glasklare, türkisfarbene Río Baker. Immer wieder ergeben sich schöne Blicke auf diesen Fluss. Beim Zusammenfluss mit dem Río Neff, kurz nach seinen gewaltigen Stromschnellen, verliert er leider seine wunderschöne Farbe. Milchig-trüb geht es für ihn weiter.
Der Weg von Cochrane nach Caleta Tortel führt erneut vorbei an Sumpfgebieten, leuchtend rotbunten Moorlandschaften mit toten, skurril wirkenden Zypressenwäldern.
Der kleine Ort schmiegt sich an den feuchten Berg, die Häuser stehen auf Pfählen. Straßen gibt es hier nicht. Ein Wirrwar von unzähligen Holztreppen und -stegen gibt dem Ort ein besonderes Flair.
Villa O’Higgins ist weniger lohnend, es sei denn, man möchte die Carretera Austral (die Panamericana auf chilenischer Seite) bis zum Ende fahren.
Zurück über Cochrane gelangen wir zu den faszinierenden Marmorhöhlen bei Puerto Río Tranquilo, die aus vulkanischer Aktivität entstanden sind. Druck und Hitze ließen das ursprüngliche Gestein zu Marmor werden, die Höhlen bildeten sich durch Auswaschungen durch Regen und Seewasser.
Coyhaique lädt zum Bummeln ein, von hier aus starten wir Ausflüge in die sehr schöne Umgebung mit Allgäuflair, in das südlichste Skigebiet Chiles auf 980 m Höhe und in die Mondlandschaft des Valle de la Luna.
Immer wieder beeindruckend sind die riesigen blauen und gelben Lupinenfelder, die kilometerweit Flussläufe und Pisten säumen, sich an Berghängen hochziehen und die Luft mit ihrem angenehmen Duft füllen.
Auf dem Weg zu den Termas El Sauce wird das Wetter immer schlechter, wir fahren auf übler Stein- und Matschpiste teils durch dichtesten Bergnebel. Wir haben diese naturbelassene Anlage den vertouristisierten anderen vorgezogen. Klein und für uns allein, einsam gelegen, für große Busse nicht erreichbar. Mystische Stimmung! Nach abwechselnd 40°C und 10°C Wassertemperatur geht es tiefengereinigt und entspannt der argentinischen Grenze und Esquel entgegen. Die Weihnachtstage stehen bevor.
Februar 2020
9. Bericht – 11.02.2020
Über die Seen zum Pazifik und in die Anden
Nach diesen 6 Tagen Urlaub vom Urlaub sind wir gut erholt, gerüstet und aufnahmefähig für weitere Abenteuer. Bei strahlend blauem Himmel und Temperaturen um die 30°C holpern wir, eingenebelt vom Staub, durch eine wüstenähnliche Hügellandschaft zurück nach Esquel.
Von dort aus, endlich wieder auf gutem Asphalt, entlang von Bächen, Flüssen, Seen und durch Wälder mit dem Blick auf schneeblitzende Berge und Vulkane, genießen wir die kurvenreiche Fahrt. Grün ist die vorherrschende Farbe – eine Wohltat für’s Auge. Kajak-, Mountainbikefahrer, Angler, Kletterer, Wanderer und Sonnenhungrige kommen hier auf ihre Kosten. Wer kühle Gebirgsbäche nicht scheut – zu denen gehören auch wir – taucht hier unter. Der Nationalpark Alerce Andino ist ein Schutzgebiet für die bis zu 70 m hohen und an die 3000 Jahre alten Baumriesen. Der üppig grüne Park ist berühmt für seine Alerce-Wälder.
In El Bolsón, dem „Obstgarten Argentiniens“, und Bariloche meint man, in den Alpen zu sein. Mit Bariloche erreichen wir die „Schweiz Südamerikas“. Der Ort liegt malerisch am idyllischen Lago Huapi, im argentinischen Sieben-Seen-Gebiet, das sich von hier bis Junín ausdehnt. Kein Wunder also, dass sich, in dieser grünen Traumlandschaft, deutsche, schweizerische und österreichische Einwanderer niederließen. Namen wie z.B. „Edelweiß“, „Tirol“, „Waldeslust“ und die alpentypische Chalets sind Zeugen dieser Zeit. Umgeben von einem Kranz von Zweitausendern, ist Bariloche der größte Wintersportort Argentiniens. Auch jetzt, in der Sommer-Vorsaison, ist die Stadt von Touristen überfüllt. Um das Silvesterfeuerwerk beobachten zu können, suchen wir einen Übernachtungsplatz im Skigebiet. Die Nacht ist sternenklar. Nicht die Fernsicht ist der Grund für die Verwunderung: Wie wir später erfahren, ließ das chilenische und auch das argentinische Volk aus Protest das Feuerwerk dieses Jahr ausfallen.
Wir bummeln durch das ruhigere und charmantere Villa Angostura. Neben der Weihnachtsdeko üppig blühende Rosensträucher. Und diese Schokolade! Wer kann da widerstehen? Unser Bedarf an Süßem ist erst einmal gedeckt!
Sehr schön ist das Naherholungsgebiet rund um die Stadt und die nähere Umgebung, u.a. Colonia Suiza und der Stausee Alicurá.
Außerhalb dieser Tourismus-Ziele beginnt die Wildnis. Gleich zwei aneinandergrenzende, sich auch in Flora und Fauna ähnelnde Nationalparks (Nahuel Huapi und Lanín) schützen den größten Teil dieser Landschaft. Der erstere, der älteste Park Argentiniens (1934 gegründet), ist stärker erschlossen, und Ausflügler vom nahen Bariloche sorgen dafür, dass viele schöne Fleckchen überlaufen sind.
Der Versuch, von Junín de los Andes aus dem Vulkan Lanín näher zu kommen, scheitert an der zu üblen Wellblechpiste. Um Nerven und Auto zu schonen, machen wir kehrt. Schöne Blicke auf die perfekte Silhouette des 3776 m hohen erloschenen Vulkans ergeben sich dennoch immer wieder auf der Fahrt nach San Martín.
Über Villa la Angostura geht der Weg zur Grenze. Vulkanausbrüche im benachbarten Chile (2011, 2012 und 2015) haben das Gebiet stark in Mitleidenschaft gezogen. Der Ascheregen von 2015 ist hier deutlich sichtbar. Bei Nebel und Regen und nach den obligatorischen Kontrollen kommen wir erneut, in dicken Pullis, in Chile an.
Osorno ist unser nächstes Ziel. Seit Mitte des 19. Jh. haben sich hier viele deutsche Siedler niedergelassen, einige ihrer Holzhäuser sind Nationaldenkmäler. Beeindruckend ist auch die neogotische Kathedrale von 1960 mit massiver Fassade aus Stahlbeton und filigranen Spitzbögen. Als Agrarstadt und Zentrum von Chiles Viehregion finden hier regelmäßig große Rinderauktionen statt. An die 2000 Rinder werden heute versteigert. Das wollen wir nicht verpassen. Sehenswert und spannend!
Auch das chilenische Seengebiet ist ein Zentrum deutscher Einwanderung, was sich auch an der Architektur und den vielen Brauereien zeigt. Die Region ist bekannt für ihre Thermalquellen. Trotz Nieselregens und schlechter Sicht umrunden wir den Lago Ranco, mit seinen kleinen sympathischen Dörfern und deren wettergegerbten bunten Holzhäuschen. Wären da nicht die 2 Vulkane, die man bei diesem Wetter nicht einmal erahnen kann, könnte man meinen, in schweizerisch-österreichischer Idylle unterwegs zu sein.
Auf dem lebhaften und quirligen Fischmarkt (Mercado Fluvial) in Valdivia wird appetitlich Obst und Gemüse angeboten. Seelöwen warten auf Fischköpfe, Hunderte kreischender Möwen und anderer Seevögel laben sich an dem für sie frisch gedeckten Tisch der Abfälle.
Leider ist die Playa Pilolcura zum Baden nicht geeignet. Heftig ist der Wellengang, unappetitlich der gelbe Algenschaum. Doch die Algenblüte um diese Zeit ist wohl üblich.
Panguipully, ein nettes Städtle, liegt an dem gleichnamigen See im chilenischen Sieben-Seen-Gebiet. Hauptattraktion ist die Iglesia Capuchina, eine Holzkirche mit Doppeltürmen, die 1947 von deutschen Kapuzinermönchen erbaut wurde. Die außergewöhnliche Front ist wie die deutsche Flagge in Schwarz, Rot und Gelb bemalt.
Eine abwechslungsreiche Wildnis aus steilen Schluchten, blauen Seen, dichtem Südbuchenwald und einem Skigebiet finden wir im Nationalpark Villarrica. Hier ragt der der mächtige schneebedeckte Kegel des 2847 m hohen und aktiven gleichnamigen Vulkans empor. Im 20. Jh. brach er 16 Mal aus, zuletzt 1999. In seinem rauchenden Krater liegt ein brodelnder Lavasee – weltweit findet man das nur noch in drei weiteren Vulkanen.
Neben dem Villarrica ist der Llaima Chiles aktivster Vulkan, mit 22 Ausbrüchen alleine im 20. Jh. . Majestätisch erhebt sich der 3125 m hohe vergletscherte Kegel und prägt die Landschaft des Nationalparks Conguillio. An der Laguna Verde, einem kleinen intensiv grünen See mit herrlichem Blick auf den Vulkan machen wir Halt und bleiben 2 Tage. Beeindruckend diese kahlen, schwarzen und bizarren Lavaflüsse, die sich ins Tal erstrecken. Bei der Eruption 2008/09 mit bis zu 3000 m hoher Rauchsäule mussten mehrere Dörfer evakuiert werden. Aschewolken erreichten Argentinien. Flüsse, die durch die Lava gestaut wurden, überfluteten Wälder, die man noch heute in kleinen Seen sehen kann. Wir wandern durch Araukarienwälder mit Blick auf die verschneite Sierra Nevada und den Vulkan, vorbei an klaren Seen und tiefen Tälern. Die immergrünen Araukarien sind die Charakterbäume des Südens, eine der ältesten Baumfamilien. Bis zu 30 m hoch und 1000 Jahre alt können sie werden.
Wenige km außerhalb dieser Lavawüste – was für ein Landschaftswechsel! Es riecht nach Sommer, nach frisch gemachtem Heu. Die Strecke führt durch das Malacahuello-Tal. Immer wieder machen wir halt und suchen Abkühlung im Fluss.
Eine Invasion von Menschen treffen wir am hufeisenförmigen Salto de Laja, Chiles größter Wasserfall. 51 m donnert er über mehrere Stufen in die Tiefe.
In der Kohlenstadt Lota kann man die ehemals größte Mine des Landes (1849 – 1997) und die angrenzende Arbeitersiedlung im Rahmen einer Führung besichtigen. Als Minenkind (die im Alter von 8 und 9 Jahren in den Gruben die Türen bedienten – hier wurden sie festgebunden, damit sie nicht weglaufen konnten) und späterer Grubenarbeiter weiß der Führer viel Interessantes zu erzählen. Z.B.: Der Lohn wurde in Form von Gutscheinen ausgezahlt, die nur im mineneigenen Laden eingelöst werden konnten. Die beste Kohle Chiles wurde hier gefördert, durch die Billigeinfuhr minderwertigerer Kohle aus Kolumbien war sie preislich nicht mehr konkurrenzfähig und die Mine wurde geschlossen.
Weiter geht‘s Richtung Norden an der Küste entlang durch urige Fischerörtchen, die bei dem Erdbeben von 2010 sehr leiden mussten. Leuchtend bunte Boote liegen in malerischen Buchten. In Chancos‘ Käserei kaufen wir den berühmten Ziegenkäse. Wunderbar schmeckt er zusammen mit dem Pan de Rescoldo (in Asche gebackenes Brot) vom Markt in Pellehue. Jetzt fehlt nur noch der Wein.
Im Weingut Balduzzi in San Javier kommen wir in den Genuss einer interessanten Führung und Verkostung nur für uns zwei, da wir morgens als Erste vor den Toren standen. Auch dieses Weingut wurde bei dem Erdbeben 2010 – das viertstärkste weltweit (8,8 auf der Richter-Skala) – stark in Mitleidenschaft gezogen. Ansonsten geht man hier gelassen mit den Beben um, die Stärke 5 und 6 gehören dazu. Große, wie das im Jahr 2015, wiederholen sich alle 20 bis 25 Jahre. Unser Timing ist gut, nun können auch wir diesbezüglich gelassen sein – wenn’s stimmt.
Am Rand der Kordillere lockt das Maipo-Tal, aber nicht nur uns. Mit Kind und Kegel, Grillzelt und dem halben Hausstand machen sich Großfamilien entlang des Río Maipo breit. Das Umweltbewusstsein vieler Chilenen lässt – vornehm ausgedrückt – sehr zu wünschen übrig. An eigentlich idyllischen Plätzen, die wir aus Ekel meiden, wird der Grill aufgebaut. Andererseits sind sie sehr freundlich und interessiert. Eine Familie bringt uns einen typisch chilenischen Eintopf zum Probieren.
Natürlich darf ein Besuch in Isla Negra, wo der chilenische Nationaldichter Pablo Neruda lebte und arbeitete, nicht fehlen. Sein Haus wurde nahezu im Originalzustand belassen, seine Sammelleidenschaft aller möglichen Objekte, die alle irgendwie mit Seefahrt zu tun haben, sowie seine Philosophie werden hier eindrücklich präsentiert. Leider darf man im Haus selbst nicht fotografieren.
Nach knapp 20.000 km mit strapaziösen Strecken bringen wir unser Gefährt in Santiago de Chile in eine Werkstatt. Nach gründlichem Check, nach Aus- und Verbesserungen haben wir ein gutes Gefühl und sehen den Andenüberquerungen entspannter entgegen. Während der Arbeiten erkunden wir die wichtigsten Sehenswürdigkeiten dieser 6-Millionen-Metropole. Die meisten gruppieren sich im historischen Teil um die quirlige Plaza de Armas, eine Parkanlage mit vielen Bäumen, unter denen man keinen Schattenplatz mehr findet. Man beneidet Kinder und Tauben in Springbrunnen. Der idyllische Hausberg Santa Lucía ist ein Ruhepol. Noch so viel gäbe es zu entdecken, doch die Hitze lähmt unsere Motivation. Die Auswirkungen der Unruhen seit Oktober sind überall zu sehen. Alles ist verrammelt, teils mit verschweißten Metallplatten gesichert. Zugang zu Geschäften, u.a. Banken, hat man nur durch schmale Türen. Kein Gebäude, kein Rollladen ist von Schmierparolen und Farbbomben verschont geblieben. Selbst wunderschöne historische Gebäude und Statuen – mir blutet das Herz – blieben davon nicht verschont. Die Carabineros sind überall präsent, auch hoch zu Ross. Noch scheint nicht alles ausgestanden zu sein. Sind im März die Sommerferien vorbei – so sagt man uns – werden die Proteste weitergehen. Gerade noch rechtzeitig kommen wir, vor der Straßenabsperrung, aus dem Krawallviertel heraus. Schon fliegen die ersten Rauchbomben.
Viele Sehenswürdigkeiten von Valparaíso liegen zerstreut auf über 40 Hügeln an einem schmalen Küstenstreifen. Spottbillig per Taxi, Standseilbahnen, oder – wenn man ganz sportlich unterwegs sein will – über Hunderte von Treppenstufen zu erreichen. Die Innenstadt mit Bauwerken aus dem 19. Jh. und mit schattenspendenden Palmen auf den Plazas gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. Eine Besonderheit sind die farbenfrohen Wandmalereien, die viele Gebäude und Mauern schmücken. Kaum zu sehen sind Schmierparolen wie in Santiago. Eine weitere Besonderheit Valparaísos sind die ältesten noch benutzten und umweltfreundlichen Oberleitungsbusse der Welt.
Im benachbarten, mondänen Viña del Mar herrscht reger Strandbetrieb. So etwas muss man lieben oder davor flüchten – Letzteres ziehen wir vor.
Auf der Autobahn, der Ruta 5, ein Teil der Panamericana, kommen wir gut voran und spulen einige Kilometer ab. Gigantische Kahlschläge und Aufforstungen ganzer Berghänge fallen hier ins Auge. Riesige Holzverarbeitungsfirmen liegen links und rechts der Strecke.
Ein Abstecher zum Delta des Río Limarí bringt uns durch eine Wüstenlandschaft mit blühenden Kandelaber-Kakteen. Wochenendausflügler verabschieden sich aus der danach einsamen Bucht, doch leider auch das gute Wetter. Auf der Strecke zurück Richtung Ovalle lässt das Navi Zweifel aufkommen – Hitzeschaden? Pisten enden im Nichts, führen durch ein Gehöft – Letzteres stimmt aber dann doch.
Kurz vor Ovalle erstrecken sich kilometerweite Olivenhaine und Reben. Das wunderschöne Elqui-Tal reicht von der Küste ca. 120 km in die Anden hinein. Saftig grüne Obst- und Gemüseplantagen und Weinanbau vor der Kulisse der Anden. Zusehends wird das Tal enger, je höher, desto interessanter. Ein Tummelplatz für Esoteriker sind die kleinen netten Dörfer.
Aus den Muskatellertrauben wird der Pisco, Chiles Nationalgetränk, hergestellt. Mit Zuckersirup, Limettensaft und Eiweiß ein herrlicher Aperitif! Hier in Pisco Elqui, auf 1280 m mit 320 Sonnentagen, soll er erfunden worden sein. Sternenklar sind in diesem Tal die Nächte. Viele Observatorien bieten für Interessierte einen Blick ins Weltall.
La Serena ist vom Küstennebel eingehüllt. Der große Markt – sonst gibt es nichts Besonderes – muss nicht angesteuert werden. Wir sind bereits eingedeckt mit Papayas, Melonen, Ananas, Mangos und Trauben und fahren weiter ins Huasco-Tal. Im kleinen Örtchen San Félix gibt es eine Destillerie, die noch auf traditionelle Weise Pisco in Kupferkesseln über Holzfeuer brennt. Leider finden zur Zeit keine Führungen statt. Die Verkostung von verschiedenen Likören und Piscos verführt uns zu weiteren Einkäufen. Im nahegelegenen, kleinen und liebevoll gepflegten Pärkchen kann ich nicht genug bekommen von dem Duft des üppig blühenden Jasmin. Länger als geplant bleiben wir hier auf einem von den Bergen umgebenen kleinen Campingplatz mit großem Pool.
Ein nettes junges Paar mit kleinen Kindern lernen wir kennen und werden über die Zustände in Chile und die Hintergründe der Unruhen aufgeklärt. Beispiel das absurde Rentensystem: Rentenversicherung wird einbezahlt. Die Rentenzahlung geht dann von einer Lebenserwartung von 120 Jahren (!!!) aus, auf diese wird der Auszahlungsbetrag umgerechnet. Wer wird 120 Jahre alt?? Wohin geht der Restbetrag nach dem früheren Tod?? Ähnliche Absurditäten bestehen im Gesundheits-, Bildungs- und Rechtssystem. Sie als Anwältin muss immer wieder erleben, dass die auf dem Papier garantierte Würde des Menschen in der Realität mit Füßen getreten wird. Selbst die Mittelschicht verarmt, die Proteste gehen durch fast alle Gesellschaftsschichten und sind nachvollziehbar – seit 30 Jahren gibt es keine Veränderung, die Korruption blüht. Wir können die geballte Wut der Menschen verstehen, die sich vor allem in den Städten zeigt.
Beim Abschied tauschen wir Adressen aus, werden mit guten Tipps versorgt und wollen uns gegenseitig auf dem Laufenden halten.
Beeindruckend auf der Strecke nach Chañaral sind die Granitformationen. Im „Zoo der Steine“ kann man seiner Fantasie freien Lauf lassen. Die vorerst letzten Tage am Meer verbringen wir an einem wunderschönen einsamen weißen Sandstrand inmitten von Lavafeldern. Pelikane kreisen am Himmel. Beeindruckend sind die Wellenberge, die sich zu gewaltigen Wänden auftürmen und uns vom Baden abhalten – zu gefährlich sind Sog und Strömungen. Als Erinnerung an diese Strandtage werden wir strahlend weiße Hintern mitnehmen.
Zunächst fahren wir an der Küste entlang, entdecken weitere schöne Buchten mit Scharen von Pelikanen. Vor allem in der Caleta Pan de Azúcar kommen wir ihnen besonders nahe. Die weitere Strecke zieht sich durch Stein- und Sandwüste. Hier findet man an die 20 verschiedene Kakteenarten. Wir sind bereits im südlichen Teil der Atacama-Wüste, die trockenste Wüste der Welt, eingegrenzt durch Pazifik und Andenkordillere. Bei Copiapó nähern wir uns wieder der Zivilisation, sichtbar an den kilometerlangen wilden Müllkippen, doch längst nicht in dem Ausmaß wie vor Santiago. Sicher sind diese auch der nicht funktionierenden öffentlichen Müllabfuhr zuzuschreiben und den Müllabfuhrkosten, die sich die Leute sparen wollen.
In der Umgebung von Copiapó und auch auf dem Weg zum Paso de San Francisco werden ganze Berge von Kalk-, Silizium-, Schwefel-, Lithium- und Kupferminen umgesetzt. Vor allem auch Gold, dessen Minen strengst bewacht werden. Unter anderem gibt es sowohl vor als auch nach der Schicht eine Kontrolle, bei der sich die Arbeiter bis auf die Haut ausziehen müssen. Die kaum frequentierten Pisten und Straßen führen durch enge Schluchten, breite Hochtäler (hier sind die Spuren der letzten Überschwemmung von vor 2 Wochen und 2015 beeindruckend) und ausgedehnte grüne Oasen, in denen Pferde, Esel, Mulis und Ziegen grasen. Dann wieder Sand- und Geröllwüste. Ein heißer Wind bläst uns um die Ohren. Auf 3800 m wird es Zeit zur Akklimatisation – leichter Kopfschmerz und Schwindel machen sich bemerkbar. Eine Nacht dafür sollte ausreichen. Wir sind gespannt, wie wir und das Auto die letzten noch fehlenden Höhenmeter zum Pass (4726 m) und die weitere Atacamawüste meistern werden.
April 2020
10. Bericht – 23.04.2020
Vom Paukenschlag zum Lockdown
Ein sonniger Frühlingstag und herrlich kühle 4 Grad erwarten uns in Frankfurt. Nach 7 ½ Monaten und 12-stündigem Non-Stop-Flug landen wir mit weiteren 369 „Flüchtlingen“ auf einem ungewöhnlich ruhigen Flughafen.
Alles ist ungewöhnlich auf dieser Heimreise: die schnelle Entscheidung, diesen Rückholflug aus Paraguay anzunehmen, die Abfertigung beim Einchecken in Asunción (Temperaturmessung, oberflächliche Kontrolle), die Versorgung an Bord (Lunchpaket und Wasser), das geregelte Verlassen des Flugzeugs in kleinen Gruppen, der Empfang und die Passkontrolle durch die Bundespolizei.
Das Corona-Virus hat auch bei uns alles auf den Kopf gestellt. Ein Weiterreisen wurde erst durch Ausgangssperren erschwert und dann durch geschlossene Grenzen unmöglich gemacht. Doch es wird weitergehen – irgendwann!
Und nun sitze ich im Garten, genieße während der 14-tägigen selbst auferlegten Quarantäne einen zweiten Frühling innerhalb von 6 Monaten. Der Jetlag und der Temperatursturz von 31 Grad sind verdaut, Lust und Muße sorgen endlich wieder dafür, den vor Wochen begonnenen Bericht fortzusetzen bzw. fertigzustellen. Zeit auch, das Erlebte zu verarbeiten, sacken zu lassen, und Zeit, die nächsten Routenabschnitte zu planen.
Doch der Reihe nach:
Die Nacht auf 3800 m im Süden der Atacama ist kühl, einsam und still. Schon unheimlich still. Nichts, aber auch gar nichts ist zu hören. Gut akklimatisiert schrauben wir uns am frühen Morgen auf 4370 m hoch. Auf mal mehr, mal weniger gut ausgebauter Erdstraße, durch tief eingeschnittene Hochtäler und farbenprächtige Hochebenen Richtung Paso San Francisco. Dieser Pass auf 4748 m ist nur knapp 60 m niedriger als der Montblanc, der höchste Berg Europas. Leichte Kopfschmerzen werden weggesteckt, 3 Liter Wasser – unverzichtbar in dieser Höhe – getrunken. In der Ferne werden die ersten schneeweißen Andengipfel sichtbar. Dann kommen wir ihnen näher. Es bieten sich Bilderbuchblicke auf die eisbedeckten Vulkane, die sich wie an einer Perlenschnur aneinanderreihen. Kurz vor der chilenischen Grenzstation erstreckt sich die südlichste Salzpfanne Chiles: der blendend weiße Salar de Maricunga im Nationalpark Tres Cruces. Aus klimatischen Gründen liegen zwischen der chilenischen und argentinischen Kontrollstelle 90 km, ohne Versorgungsmöglichkeiten, ohne Netzempfang. Dazu kommt der ca. 50 km lange Abstecher zur Laguna Santa Rosa. 140 km, auf denen einem besser nichts passieren sollte. So denken wir, und werden auf übler Wellblechpiste durchgerüttelt.
Der Gedanke ist kaum zu Ende gedacht – dann dieser Schlag! Die hintere Steckachse ist fast raus, das Rad steht neben dem Auto. Flüche, verzweifelte Rundumblicke, Tränen, die ich nicht zurückhalten kann und der Gedanke an den nächsten Flughafen sind die ersten Reaktionen. Obwohl es Stephan gelingt, das Rad wieder hineinzuschieben, ist an eine Weiterfahrt nicht zu denken. Es ist Sonntag, gottlob! Vereinzelt kommen Ausflügler vorbei. Jeder hält an, bietet Hilfe in Form von Essen, Wasser, Anruf bei nächster Gelegenheit beim Abschleppdienst. Ein Automechaniker aus Copiapó verspricht, uns tags darauf abzuschleppen und das Radlager zu reparieren. Etwas beruhigter, aber dennoch total frustriert, sitzen wir die Zeit ab.
Die Nacht ist eine der kältesten bisher. 1 Grad morgens, Innentemperatur 8 Grad. Die Heizung bullert, später sticht die Sonne. Dann diese für mich sehr aufregende 4-stündige Abschleppaktion zurück nach Copiapó. Nicht nur ein Mal sehe ich im Seitenspiegel unseren auf dem Hänger wankenden Camper in den Abgrund stürzen.
Mario erweist sich als ein sehr kompetenter und verantwortungsvoller Mechaniker, der nicht nur das Radlager repariert, sondern auch weitere Verbesserungen vornimmt, für die wir ihm noch heute dankbar sind. Eine Einladung zum Grillen nehmen wir gerne an und verbringen einen netten und vergnügten Abend mit hervorragender Verköstigung in einer sehr sympathischen und liebenswerten Familie.
Nachdem Schreck und Frust verdaut sind, und um die Reparaturzeit sinnvoll zu nutzen, planen wir erneut in die Wüste vorzudringen. Dieses Mal mit einem Mietwagen.
Die „Ödnis“ der Atacama könnte facettenreicher nicht sein: Salzseen, Schluchten, Lagunen, Berge, sattgrüne Oasen, Vulkane, Sand, Geröll, wilde Tiere und eine unglaublich harmonische, schöne Farbenvielfalt. Faszinierend! Der Gedanke an den nächsten Flughafen – vergessen!
Auf 4300 m liegt die türkisfarbene, in weiße Salzkruste eingebettete Laguna Verde, flankiert von beeindruckenden Vulkanen. Majestätisch erhebt sich vor uns mit 6893 m der höchste Berg Chiles, der Ojos del Salado.
Erst in den Abendstunden erreichen wir die tiefblaue Laguna Santa Rosa mit gründelnden Flamingos und einer weidenden Guanakoherde. Was den Paso San Francisco interessant macht, liegt auf chilenischer Seite, die wir nun intensiv erkundet haben.
Routenänderung! Vorerst bleiben wir in Chile. Die PanAm Richtung Antofagasta führt durch die wilde Natur der Küstenregion, wo Pazifik und Wüste aufeinandertreffen. Ein interessanter Kontrast!
Ein lohnender Zwischenstopp ist Taltal. Von einer Anhöhe aus schauen wir auf die nette kleine Hafenstadt, die von Felswänden eingerahmt ist, auf die Bucht mit Pelikanen, den gepflegten Strand und die bunten Häuser. Als ehemals bedeutende Salpeterstadt hat sie ein Monstrum von Lokomotive (1907 in England gebaut, 64 t schwer und 12 m lang) ausgestellt. Bis 1976, Als die letzte Salpetermine geschlossen wurde, war sie im Einsatz.
Vom Fischerdorf Paposo aus geht’s von Meereshöhe hinauf auf 2150 m. Ich male mir aus, wie schön der Blick von hier auf’s Meer und die Berge sein muss, würde nicht der Küstennebel alles verschleiern.
Antofagasta ist für uns eine Stadt auf dem Weg nach San Pedro de Atacama, die wir nur durchfahren. Interessant und ungewöhnlich ist ihre Form: 25 km zieht sie sich am Meer entlang, auf einer Breite von maximal 4 km, eingezwängt zwischen Pazifik und der Küstenkordillere. Viele Menschen leben hier in Armut. Man sieht es an ihren Behausungen, die sich bis zu den Bergkämmen hochziehen. Man sagt, sie sei die Stadt mit der höchsten Lebensqualität und geringsten Arbeitslosigkeit, doch die immensen sozialen Kontraste, ganz im Norden, führen zu hoher Kriminalität. Im Süden an der Küste erstrecken sich dagegen die Wohnviertel der Gutbetuchten. So viel Reichtum und Armut an einem Ort!
Auf einer Terrasse am Wüstenhang liegen die Ruinas de Huanchaca. Diese steinernen Überreste einer Silberraffinerie aus den Jahren 1888 – 1892 bilden das Gegenstück zu der dahinterliegenden modernen Hochhaussiedlung.
Von einem kurzen Wanderweg aus, oberhalb einer Klippe an der malerischen Küste, ist die 30 m hohe La Portada, „das Tor“, zu sehen. Dieser imposante Kalksteinbogen entstand durch Erosion vor über 7 Millionen Jahren und ist das Wahrzeichen der Stadt.
Von Calama aus steuern wir die weltgrößte Tagebau-Kupfermine Chuquicamata an. Leider ist z.Zt. keine Besichtigung von innen möglich. Riesige Abraumhalden häufen sich hier kaskadenartig über 4 km Länge, 3 km Breite und 1 km Tiefe. Ungetüme mit 3 m hohen Rädern verschlingen an einem Tag so viel Diesel wie ein PKW in 2 Jahren! Für jeden LKW mit Kupfererz rollen drei mit Abraum aus dem Schlund. Eine endlose 24-stündige Staub aufwirbelnde Schleife. Neben all dem Gewinn zahlt die Natur den Preis. Schwefelgase, Arsen und andere Schwermetalle belasten die Umgebung. Das Problem der kontaminierten Abwässer ist ungelöst. Die riesigen Mengen Wasser, die benötigt werden, fehlen an anderer Stelle, z.B. in den indigenen Dörfern.
Auf dem Weg zu den Geysiren im Tatio-Gebirge legen wir im Inkadorf Chiu Chiu eine Pause ein. Eine 1,2 m dicke Lehmmauer umgibt die kleine weißgetünchte Kirche (1674) mit den zwei Glockentürmen und dem winzigen Friedhof. Sie zählt zu den ältesten und schönsten Kirchen im chilenischen Altiplano. Türen, Fensterrahmen und Decke sind aus Kakteenholz gearbeitet und teils von Guanakosehnen zusammengehalten. Dank der Trockenheit in einem bemerkenswert guten Zustand.
Mitten in einer Schlucht liegt auf 3260 m die 429-Seelen-Siedlung Caspana, umgeben von Blumen- und Gemüseterrassen. Kreuze auf den Steindächern sollen böse Geister fernhalten.
Unser Versuch, am heutigen Tag noch zu den Geysiren zu gelangen, scheitert. Umsonst haben wir uns auf abenteuerlicher Strecke auf 4800 m hochgequält. Drei Autos sitzen nach einem sintflutartigen Regenfall in einem Erdrutsch fest und versperren den Weg.
Nun steht das nächste Highlight auf dem Programm: San Pedro de Atacama. Auf 2436 m, unter dem fast 6000 m hohen Vulkan Licancabur, liegt dieses attraktive Oasendorf mit spektakulären Ausblicken auf die Cordillera de la Sal. Die von meist unverputzten kleinen Lehmziegelhäusern gesäumten Gassen sind eng, ungeteert und staubig. Für Scharen von Touristen, auch für uns, ein geeigneter Standort um die Umgebung zu entdecken. Die Sonne scheint hier immer. Ganzjährig besteht der hohe Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht. Im Sommer (Januar / Februar) erreichen die Temperaturen mittags höllische 35 bis 40 Grad, mit denen auch wir zu kämpfen haben.
Das Valle de la Muerte (Tal des Todes), ein ödes Areal mit roten Felsspitzen und riesiger Sanddüne, auf der sich Sandboarder austoben können, ist einer der trockensten und unwirtlichsten Orte der Welt.
Eine eindrucksvolle Canyon-Landschaft mit bizarren Felsformationen ist das Valle de la Luna (Mondtal). Um die größte Sanddüne des Tals, die Duna Mayor, zu erklimmen, fehlen uns angesichts der Hitze die dafür notwendige Motivation und Kondition.
Mit einer Agentur in San Pedro starten wir einen weiteren Versuch zu den Geysires del Tatio. Wegen erneuter nächtlicher Unwetter und Erdrutsche scheitert auch dieser: Alle Zugangsstraßen sind gesperrt. Tags darauf werden wir wieder um 4 Uhr vom Wecker aus dem Schlaf gerissen, denn früh aufstehen muss man, um dieses Schauspiel auf 4321 m vor Sonnenaufgang zu erleben. Danach verpufft das Spektakel. Blubbernde, dampfende und zischende Fumarolen und Fontänen beobachten wir im Licht der aufgehenden Sonne. Eine mystische Stimmung! Unzählige Geysire schleudern weiße Dampfsäulen in die dünne Bergluft. Tief unter der Erde trifft ein Fluss auf magmatischen Fels. Durch Risse in der Erdkruste schießt der 85 Grad heiße Dampf, der dabei entsteht, als Fontäne in die Luft. Vor dieser spektakulären Kulisse genießen wir das Frühstück, das unser Guide vorbereitet hat. In heißen Schwefelquellen können sich danach Unterkühlte aufwärmen. Trotz kalter Finger, die ich kaum noch spüre, ziehe ich die Fotopirsch vor.
Auf dem Rückweg zeigt sich eine wunderschöne Landschaft, die uns im Dunkel der Anfahrt verborgen blieb. Gegrillte Lamaspieße verbreiten im kleinen Dorf Machuca einen appetitanregenden Duft, dem man nicht widerstehen kann.
Auf eigenen Rädern ziehen wir nach einigen Tagen wieder weiter, vorbei an der Laguna Cejar, in der man aufgrund hohen Salzgehalts bewegungslos treiben kann. Einen stimmungsvollen Sonnenuntergang erleben wir an der Laguna Tebenquiche.
Am kommenden Fahrtag ist erneut das Überqueren der Grenze nach Argentinien geplant. Allein die Strecke auf z.T. knapp 5000 m Höhe kann man als Naturschauspiel bezeichnen. Auf gut ausgebauter Straße geht’s kontinuierlich steil hinauf. Stephans Idee, die Kühlerhaube mithilfe eines Holzstücks und eines Spanngurts geöffnet zu halten, bewährt sich auch dieses Mal. Kilometer für Kilometer wird die Landschaft spektakulärer. Es bieten sich uns Traumblicke auf die Weite der Wüste und die Fünf- bis Sechstausender drüben in Bolivien. Wir begegnen wilden Eselfamilien, Lamas und Vicuñas (die wilden Verwandten der Lamas), deren Fell wertvoller als Seide sein soll, und die in dieser Höhe ihren natürlichen Lebensraum haben.
Gemächlich führt uns die nächste Etappe durch die Reserva Nacional de Tara. Sie zählt für uns landschaftlich zum Feinsten und zieht uns in ihren Bann. Hier in dieser einmaligen, menschenleeren, schier surrealen Kulisse beeindrucken die von Mutter Natur geschaffenen „Mönchsköpfe“, die Monjes de la Pacana. Einfach überwältigend. Blitze zucken durch tief hängende Gewitterwolken und machen die Stimmung perfekt. Man fühlt sich in eine andere Welt versetzt.
In hohen Stiefeln – möglicherweise gibt es hier Kleingetier, dem ich lieber nicht begegnen möchte – durchstreife ich die Umgebung der Laguna Caliente, beobachte Erdhörnchen bei emsiger Arbeit und Vicuñas aus nächster Nähe.
Ca. 100 km nach dem Paso Jama liegt die kleine Andengemeinde Susques auf einer Hochebene (3896 m) und gilt als der höchstgelegene Ort Argentiniens. Die Kirche in typischer Puna-Optik wurde zum Nationaldenkmal erklärt. Leider ist sie geschlossen. Mit großem Appetit verschlingen wir die lecker zubereiteten Sánguche de Milanesa (das typisch argentinische Schnitzel-Sandwich) und Choripan, gegrillte Chorizo im Brot. Heftige Unwetter, die tags zuvor hier wüteten, haben im Ort und in der nahe gelegenen Flusslandschaft deutliche Spuren hinterlassen.
Steil geht es erst wieder bergauf und weiter durch die Schlucht Quebrada del Malpaso mit meterhohen Kandelaberkakteen zum sehenswerten 12.000 ha großen Salzsee, den Salinas Grandes. Für viele ein lohnendes sonntägliches Ausflugsziel. Gebäude, Tische, Stühle und Bänke sind komplett aus Salz gebaut. Eine dünne Wasserschicht hat sich nach den letzten Regenfällen gebildet und erzeugt schöne Spiegelungen.
Die spektakuläre Serpentinenstraße am Anfang der Quebrada de Humahuaca führt uns hinunter zu unserem nächsten Ziel, der alten Inkasiedlung Purmamarca. Autos mit offen stehenden Kühlerhauben säumen die Passstraße in Gegenrichtung.
Überragt wird der bekannte Ort von dem Farbenwunder des Cerro de los Siete Colores (Berg der 7 Farben). Bevor die Touristenbusse hier ihren Stopp einlegen, haben wir unseren Rundgang beendet und die Kunsthandwerker beim Aufbau ihrer Marktstände, die sich entlang der Gassen ziehen, beobachtet. Was den Markt besonders lebendig macht, sind die farbenprächtigen traditionellen Kunsthandwerksartikel.
Nun passieren wir eine der legendären argentinischen Landschaften mit ihrer Vielfarbigkeit der Gesteinsschichten im Kontrast zum grünen Flusstal.
In Hinblick auf Sehenswürdigkeiten ist der nächste Zwischenstopp, San Salvador de Jujuy, bescheiden. Wir beschränken uns auf den bunten, quirligen und überwiegend indigenen Markt und decken uns mit frischem Gemüse und Obst ein. In keiner anderen argentinischen Stadt ist der Anteil indigener Bevölkerung höher als hier.
Ein völlig anderes Landschaftsbild ergibt sich Richtung Salta.
In den immergrünen Tälern beeindrucken die Yungas, subtropische Regenwälder, die einem Dschungel gleichen. Die Baumriesen sind mit Lianen, Moosen, Farnen und Sukkulenten bewachsen.
Entspannende Badetage haben wir uns in Salta verdient. Mehrere Tage genießen wir diese auf dem Camping Municipal. Von hier aus erkunden wir die Kolonialstadt per pedes. Trotz einer halben Million Einwohner wirkt sie klein und übersichtlich. Vom Hausberg, dem Cerro San Bernardo aus, auf den man mit der Seilbahn fährt, hat man einen sehr schönen Blick auf die grüne Stadt. Die historischen Gebäude im lebhaften Zentrum rund um den Hauptplatz gehören zu den schönsten Bauwerken des Landes. Beeindruckend ist die Kathedrale, wunderschön die Kirche San Francisco. Nicht zu Unrecht trägt diese Stadt auch den Namen „La Linda“, die Schöne.
Von der anscheinend atemberaubenden Strecke Richtung Cachí ist kaum etwas zu sehen. Dichter Nebel verhindert den Ausblick in die Ferne und gottlob auch in die Tiefe. Die Straße windet sich die Cuesta del Obispo hinauf in die wolkenverhangenen Berge. Den schneebedeckten 6380 m hohen Nevado de Cachí kann man nur erahnen. Auf dem Weg hinunter öffnet sich der Blick dann auf den Nationalpark Los Cardones. Dieser wurde zum Schutz der riesigen Kandelaberkakteen geschaffen. Vor der Kulisse der Bergkette ragen sie dicht an dicht gen Himmel.
Das kleine, sympathische Dorf Cachí besticht durch seine schneeweißen Häuser, die auffallende Sauberkeit und das Festhalten an alten Traditionen. Mit 350 Sonnentagen werden die Leute hier verwöhnt, doch für uns ist einer der wenigen Regentage reserviert.
Die Fahrt jetzt wieder auf der Ruta 40 führt durch eine abwechslungsreiche Landschaft. Noch abwechslungsreicher sind die Streckenverhältnisse: Sand, Schotter, Furten, Schlaglöcher – das volle Programm. Vor allem aber Wellblech der übelsten Sorte. Spuren der sintflutartigen Regenfälle – nichts Besonderes zu dieser Jahreszeit – lassen ein mulmiges Gefühl aufkommen. Man spürt schier die unbändige Kraft der Natur. Die Regenmassen, die ins Tal stürzen und alles mit sich reißen, Brücken, Straßen, Häuser, ganze Dörfer unter Schlamm begraben, möchte man sich nicht ausmalen, geschweige denn ihnen ausgeliefert sein. Da gibt es kein Entrinnen. Mein Blick richtet sich immer wieder gen Himmel, Ausschau haltend nach verräterischen dunklen Wolken. Doch wir haben Glück und kommen trocken in Cafayate an.
Auf der Rundtour wieder zurück nach Salta passieren wir einen der interessantesten Streckenabschnitte. In Millionen von Jahren legten Wind und Wasser Gesteinsschichten noch älterer Felswände frei. Manche Formationen sind so skurril, dass man ihnen Namen gab.
Von Salta aus heißt es jetzt 1500 km bis Iguazú abspulen. Auf der schnurgeraden Ruta 16 zieht überwiegend landwirtschaftlich genutzte Gegend an uns vorbei. Maisfelder bis zum Horizont stehen in sattem Grün. Nach Hunderten von Kilometern dieser Farbe – die schon einmal Erholung für’s Auge war – lechzen wir nun nach Abwechslung. Es ist heiß! Lediglich der Fahrtwind macht die über 40 Grad erträglicher. Auf dem Weg liegen die Esteros de Iberá, eine Naturoase mit Sümpfen, Seen und Trockensteppe. Diese werden oft mit dem weltberühmten Pantanal in Brasilien verglichen. Die Möglichkeiten der Tierbeobachtung hier sind noch einzigartiger und entschädigen für die Mühe der nicht einfachen und langwierigen Anfahrt. Wir bleiben drei Tage.
Inzwischen ist es März, die Nebensaison hat begonnen, Campingplätze sind verwaist, das neue Schuljahr hat angefangen, was sich vor allem an der noch blütenweißen Schuluniform zeigt. Wir besuchen das ebenfalls auf der Route liegende San Ignacio Miní in der Nähe von Posadas. Diese historische Sehenswürdigkeit gilt als die bestrestaurierte und am besten erhaltene Jesuitenmission. Die ersten Europäer, die in der heutigen Provinz Misiones Anfang des 17. Jahrhunderts siedelten, waren Jesuitenmissionare. Sie gründeten Siedlungen, Reduktionen genannt, von denen es mehrere im Grenzgebiet von Argentinien, Paraguay und Brasilien gab. Einige davon, auch diese, wurden zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt. Die Ruinen, einst prächtige Bauten, gruppieren sich um einen sehr großen Platz, wo auch die Kirche stand. 4000 Menschen lebten hier. Die Siedlung war gut organisiert, es gab Unterrichtsräume, Speisesäle, Küchen, Werkstätten, Gefängnis und Friedhof. Auf diesem wurden Männer, Frauen und Kinder jeweils getrennt bestattet. Nachdem die Jesuiten aus den spanischen Hoheitsgebieten ausgewiesen worden waren, wurden die Siedlungen zerstört und dem Urwald überlassen. 1941 begann man mit der Freilegung und Restaurierung. Das schönste Einzelgebäude war die Kirche, die noch als Ruine ihre Größe und Schönheit erahnen lässt. Die von europäischen Baumeistern vorgegebenen barocken Formen wurden von den indianischen Steinmetzen aufgenommen und mit eigenen Themen verknüpft.
Nur noch 250 km trennen uns vom nächsten Highlight, den Cataratas de Iguazú, den angeblich schönsten und mit 2,7 km Breite größten Wasserfällen der Welt (UNESCO Weltnaturerbe). Sowohl die argentinische als auch die brasilianische Seite haben ihren speziellen Reiz. Der größte Teil liegt auf argentinischem Territorium. Bei tropischer Hitze erkunden wir auf einem vierstündigen Rundgang dieses Naturschauspiel. Schweißtreibend geht’s über Brücken, Stege und Treppen durch den umgebenden Urwald aus Palmen, Laub- und Nadelhölzern. Eine tosende Wildnis von ca. 20 großen und über 250 kleinen Katarakten erfüllt die Luft mit Gischt und malerischen Regenbögen. Unterwegs treffen wir nicht nur auf putzige Nasenbären, Kaimane, Wasserschildkröten, exotische Vögel und farbenprächtige Schmetterlinge, sondern auch auf 2 Waldkircher. Die Welt ist ein Dorf!
Von Weitem ist der grandiose, halbrundförmige Garganta del Diablo (Teufelsschlund) zu hören. Tonnen von Wasser stürzen hier hautnah unter gigantischem Getöse 80 m in die Tiefe. Ein unvergessliches Erlebnis!
Brasilien bleibt nur ein kleines Stück der Wasserfälle, mit weniger begehbaren Wegen, aber dem perfekten Panoramablick. Hier sind wir tags darauf in den Morgenstunden unterwegs und schieben uns in den Touristenmassen dicht an dicht auf die Aussichtsplattformen. Motorisierte Schlauchboote fahren über den wilden Fluss nah an die Fälle heran, Hubschrauber kreisen unüberhörbar – störend, nervend, schade!
Gleich gegenüber dem brasilianischen Eingang zu den Fällen liegt der 5 ha große Parque das Aves (Vogelpark). Große Freiflugvolieren ermöglichen zahlreichen Vögeln ein Leben in artgerechter Umgebung. Nachzuchtprogramme sind erfolgreich und sichern den Fortbestand mancher Arten, die in der freien Natur schon selten geworden sind.
Um nicht die gleiche Strecke zurück nach Salta fahren zu müssen, entscheiden wir uns für die Alternativroute durch Paraguay. Ein flaches, hügeliges Land, das uns kaum etwas Interessantes bietet, geprägt von Landwirtschaft, Rinderherden und Wäldern. Das satte Grün der Soja- und Maisfelder, soweit das Auge reicht, ist ein schöner Kontrast zur leuchtend roten Erde. Eine drückende Hitze von 43 Grad und 95 % Luftfeuchtigkeit liegt über dem Land. Wir hecheln uns von Campingplatz – nur mit Pool! – zu Campingplatz. Ist nicht unbedingt unsere Art unterwegs zu sein. Normalerweise ziehen wir „wilde“ Plätze vor, doch mangels geeigneter Gewässer – bei dieser Hitze lebensnotwendig – ist dies die einzige sinnvolle Möglichkeit. Wolkentürme lassen auf Gewitter und Abkühlung hoffen, doch es bleibt bei dem Wunschtraum. Die tropischen Nächte sorgen für nicht gerade erholsamen Schlaf. Hier werden wir vom Corona-Virus in unserem Reiseflow ausgebremst. Argentinien macht einen Tag früher als angekündigt die Grenze dicht – wir sitzen fest. Zwei Wochen verbringen wir in Hohenau, eine der drei ehemaligen Kolonien von deutschen Einwanderern, auf dem Campingplatz Parque Manantial. Dieses große und wunderschöne Gelände teilen wir uns mit einem norwegischen Radler und einem deutschen Weltenbummler. Im Vergleich zu Bekannten, die in Argentinien feststecken, sitzen wir im goldenen Käfig. Zwei Krankenhäuser sollen hier aus dem Boden gestampft werden. Das gibt uns zu denken! Wir entscheiden uns für den Rückholflug. Einiges muss kurzfristig organisiert werden: Unterstellplatz für das Auto suchen, den Camper für einen eventuell längeren Aufenthalt präparieren, Rucksäcke und Koffer packen, einen Passierschein für die Fahrt nach Norden besorgen. Dank der Ausgangssperre kommen wir auf den knapp 500 km nach Asunción gut voran. Die Nacht vor dem Flug verbringen wir bei Marion und René in Altos, wo das Auto jetzt auf die Weiterfahrt wartet.
*** Nach 2 Jahren Zwangspause geht es weiter ***
Teil 2
März 2022
11. Bericht – 29.03.2022
Zurück in die Puna
Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum. Diesen Spruch machen wir uns zu Eigen! Weiter geht’s mit der zweiten Etappe unserer Abenteuerreise, nachdem wir zwei Jahre lang ungeduldig das Corona-Geschehen verfolgt haben.
Nach 17 Stunden – durchgehend mit FFP2-Masken – kommen wir pünktlich morgens, am Donnerstag, den 17. Februar, um 07.07 Uhr Ortszeit in Asunción / Paraguay an. Im Vergleich zum Abflug 2020 herrscht jetzt wieder normaler Flugbetrieb. Ein Spalier bilden die Wartenden. Mit teils Rosen in der Hand und erwartungsvollen Blicken werden die Ankömmlinge begrüßt. Wir sichten ein „Gaby y Stephan“- Schild – unser Taxifahrer. Eingestaubt und verdreckt, mit einer Mulchschicht auf dem Dach, finden wir unseren Husky in Altos vor.
Ameisen haben sich im äußeren Stromanschlusskasten eingenistet und lassen sich nur ungern vertreiben. Aggressiv setzen sie sich zur Wehr, schmerzhaft sind ihre Bisse. Da hilft leider nur die chemische Keule.
Trotz Jetlag, Schlafdefizit und enormem Temperaturunterschied machen wir uns an die Arbeit. Kein Vergnügen bei 39 Grad! Die Batterie wird ausgewechselt, die Dieselleitung entlüftet und – Hallelujah! – er springt an. Der Stein, der uns vom Herzen fällt, müsste selbst daheim zu hören gewesen sein.
Nach vier Tagen heißt es Abschied nehmen von unseren „Autosittern“ Marion und René und den übrigen Overlandern, die diese Idylle noch weiter genießen werden. Doch uns treibt es weiter. Zunächst zu einem Check in eine Werkstatt, danach zur argentinischen Grenze.
Anderthalb Stunden später beginnt ein nervenaufreibendes und zeitraubendes Prozedere. Zwar entfällt mittlerweile der PCR-Test, doch die „Declaración Jurada“, die Gesundheitserklärungen, fehlen. Das zuständige „Büro“ finden wir nach längerem Suchen und Durchfragen in einer Wellblechhütte. Dann der nächste Schreck. Abgelaufen war nach der langen Zeit die paraguayische Einfuhrgenehmigung für’s Auto. Das wussten wir. Doch die fehlende Unterschrift des verantwortlichen Zollbeamten führt zu Irritation, wird moniert. Offiziell kann so das Formular nicht abgehakt werden. Von den zwei Optionen, die man uns vorschlägt – entweder 520 km zurück nach Ciudad del Este, oder eine Strafe bezahlen für einen Fehler, für den nicht wir verantwortlich sind – entscheiden wir uns für die Strafe. Mit umgerechnet 30 Euro, die wir von der ersten Etappe noch übrig haben, gibt man sich zufrieden. Das ungültige Formular verschwindet im Papierkorb, das Geld mit Sicherheit in den Taschen der Grenzer. Es lebe die Korruption! Aufatmen – endlich haben wir die argentinische 90-tägige Aufenthaltsgenehmigung für uns und das Auto. Weniger kompliziert verläuft die Zollabfertigung. Nach einem kurzen Schwenk mit der Taschenlampe in die wegen der Hitze abgedunkelte Kabine heißt es „Buen viaje“ – gute Reise!
Massenhaft säumen Palmen die kaum frequentierte RN 11 nach Formosa. Bis auf wenige Abschnitte sind die 112 km verbrannt. Schwarze Stämme, braun herunterhängende Palmwedel – ein trostloser Anblick! Dass sie dennoch Leben in sich haben, zeigen Neuaustriebe. Auch aus der pechschwarzen Erde sprießen Grashalme in frischem Grün. Noch müssen bis Salta 994 km abgespult werden. Wieder schnurgerade, mit kaum Verkehr, verläuft auch die RN 81. Die Luft flimmert über dem Asphalt. Mehrere Provinzen mit unterschiedlichen Landschaften durchfahren wir. U.a. gelten die Provinzen Chaco und Formosa, wo wir uns gerade befinden, zu den heißesten Regionen Südamerikas, mit fast unerträglichen Temperaturen. Gnadenlos brennt die Sonne auf das flache Land, auf Steppen, Savannen, endlose Acker- und braune Weideflächen, auf Sumpfgebiete, in deren „Brühe“ sich wilde Schweine suhlen, auf Streckenabschnitte, in denen das Feuer gewütet hat. Brandgeruch liegt in der Luft.
Hüttensiedlungen mit ärmlichen Behausungen ziehen vorbei, umgeben von Müll. Der Überlebenskampf scheint zu hart, um sich mit Umweltfragen zu beschäftigen.
Fast schon im Dämmerzustand lasse ich den ersten Teil der Reise Revue passieren. Schier endlos lang ist die Liste der Highlights, z.B. : die Gratwanderung zwischen der Ersten und Dritten Welt, die ungewohnten Lebensverhältnisse, die noch ungewohnteren Straßenzustände, die endlose Weite der Pampa, die schneebedeckten Vulkane, imposanten Gletscher und Felsmassive, tosende Wasserfälle, die farbenprächtige und einzigartige Flora, trockene Wüsten, pulsierende Städte mit kolonialem Flair, die Freundlichkeit und Lebensfreude der Bewohner in unterschiedlichen Klimazonen, die faszinierende Tierwelt, die wir in ihren natürlichen Lebensräumen hautnah erlebt haben. Doch die nicht übersehbare, allgegenwärtige Armut, das Aufbegehren in Santiago de Chile gegen Korruption und soziale Missstände stimmen nachdenklich.
Eine Polizeikontrolle reißt mich aus meinen Träumen. Alle Papiere werden genauestens überprüft. Ein Schwätzchen schließt sich an, offensichtlich sind wir eine willkommene Abwechslung in einem öden Arbeitsalltag. Wir bekommen einen Tipp, der in kaum einem Reiseführer zu finden ist: Die Bañados de Estrellas.
Dieses 220 km lange und durchschnittlich 20 km breite Feuchtgebiet ist neben dem brasilianischen Pantanal und den argentinischen Esteros de Iberá das drittgrößte in Amerika. Es bildet sich die meiste Zeit durch Regenfälle und den Überlauf des Río Pilcomayo. Surreal wirken die abgestorbenen Bäume, die aus dem Spiegel weiter Wasserflächen herausragen. Sie erscheinen als Silhouette im Gegenlicht. Ein Markenzeichen dieses Gebiets sind außerdem die mit Moosen und Algen bewachsenen Bäume. Aus den riesigen Pflanzenteppichen im Wasser wachsen Hyazinthenähnliche Blumen. Ein herrlich dezenter Duft liegt in der Luft! In der gleißenden Nachmittagshitze sind außer Fischen und wenigen Vögeln (200 verschiedene Arten soll es hier geben) keine Lebenszeichen der zahlreichen anderen Tiere zu entdecken. Aufgrund der am Straßenrand liegenden Kadaver (z.B. ein Zwei-Meter-Kaiman und Carpinchos, die endemischen Wasserschweine) bekommen wir einen kleinen Überblick über die hier lebenden Tierarten. Man warnt uns vor der Curiyu-Schlange, der schwarz-gelben Anaconda. Schon deren Neugeborene mit ihren 70 cm Länge würden uns einen gehörigen Schrecken einjagen. Vier Meter lang und bis zu 40 kg schwer wird diese Riesenschlange, die ich zu gerne vor die Linse bekommen hätte – aus sicherer Entfernung wohlgemerkt, am besten aus der Dachluke heraus. Vielleicht aber doch gut, keiner begegnet zu sein – der Alptraum in der Nacht reicht mir. Nach einem spektakulären, feurigen Sonnenuntergang und einer Nacht, die erst im Morgengrauen erträglich wird, erwartet uns erneut ein tropisch heißer Tag – um 8.00 Uhr schon 29 Grad und 84 % Luftfeuchtigkeit. Laut und lebhaft wird es vorher bei Sonnenaufgang. Unzählige schwarze Vögel, eine Art der Kormorane, bevölkern jetzt die kahlen und rindenlosen Äste.
Auf dem Campingplatz Carlos Xamena in Salta genießen wir – fast alleine – die Ruhe und erneut den großen Pool und das Sicherheitsgefühl durch die Polizeipräsenz. Die sehr schöne Kolonialstadt ist auch einen zweiten Besuch wert. Obwohl noch in bester Erinnerung, zieht es uns erneut in das Zentrum zu den prächtigen Gebäuden rund um die Plaza 9 de Julio. Die Basilika San Francisco, 1625 vollendet und ein Juwel der spanischen Kolonialarchitektur, ist dieses Mal geöffnet, und wir können den prachtvoll gestalteten Innenraum bewundern.
Im archäologischen Museum der Hochgebirgsregion MAAM, in dem man in die Kultur der Inkas eingeführt wird, müssen wir pandemiebedingt einen Termin vereinbaren. Die Hauptattraktion des Museums sind die erstaunlich gut erhaltenen sterblichen Überreste der drei Inka-Kinder, ein in Europa nahezu unbekannter Fund. Das Schicksal der „Niños Congelados“ – der „gefrorenen Kinder“ – ist einen kleinen geschichtlichen Exkurs wert.
1999, auf einer Plattform kurz unterhalb des Gipfels des Llullaillaco-Vulkans, auf der höchsten archäologischen Stätte der Welt, hat man die Kinder (im Alter von 6, 7, und 15 Jahren) gefunden. Durch die Eiseskälte auf 6700 m, die geringe Luftfeuchtigkeit und fehlenden Mikroorganismen wurden die rund 500 Jahre alten Leichen so gut konserviert, dass sie zu den bedeutendsten Mumien weltweit gehören. Acht Jahre waren nötig, um eine Methode zu finden, sie so zu erhalten, wie man sie vorgefunden hat, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Im 15. und 16. Jahrhundert waren die Inka entlang der Anden zu Fuß (!) auf einem Wegenetz von geschätzt 40.000 km unterwegs. Davon sind ca. 25.000 km bekannt. Innerhalb von weniger als einem Jahrhundert festigten sie ein riesiges Gebiet, das als größtes Reich im präkolumbianischen Amerika, möglicherweise als größtes Reich der Welt, gilt. Die Anfänge gehen bis ins 13. Jh. um die Stadt Cusco im heutigen Peru zurück. Mitte des 16. Jh. erreichte es seine maximale geografische Ausdehnung. Zu einem schnellen Niedergang kam es innerhalb weniger Jahre mit der Eroberung durch die Spanier. Kurz davor – laut Wissenschaft – wurden die Kinder als Menschenopfer dargebracht. Die „Capacocha“ , die Kindesopfer, waren ein Bestandteil der Inka-Religion. Diese rituellen Opfer sollten den Inkas Gesundheit, reiche Ernten und gutes Wetter gewährleisten. Aus dem gesamten weitläufigen Inka-Reich wurden sie auf ihre körperliche „Perfektion“ hin ausgewählt, im allgemeinen Söhne und Töchter von Adeligen. Hunderte, gar Tausende von Kilometern wurden sie für Reinigungsrituale nach Cusco gebracht, von dort auf hohe Berggipfel geschickt, um dort lebendig geopfert zu werden. Im Inka-Glauben starben sie nicht wirklich, sondern wachten zusammen mit ihren Vorfahren von den Berggipfeln aus über das Land. Es war eine große Ehre, als Opfer zu sterben.
Interdisziplinäre Untersuchungen (Haar-, Zahn- und DNA-Analysen) eröffneten wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse über das Alltagsleben, die Ernährungsweise und rituelle Praktiken in der Inka-Zeit. Haaranalysen der Kinder ergaben eine der höchsten Kokain- und Alkohol-Konzentrationen (v.a. der 15-jährigen), die jemals in menschlichen Überresten gefunden wurden. Dieser regelmäßige Konsum stieg erst in den letzten 6-8 Lebenswochen vor ihrer Opferung massiv an. Am Todestag war die 15-jährige „Doncella“ (Jungfrau) durch die Drogen – u.a. das Chicha-Maisbier – stark benommen, wenn nicht gar bewusstlos, was ihre entspannte sitzende Position erklärt. Die 6-jährige wird von den Wissenschaftlern „Niña del Rayo“ (Blitzmädchen) genannt, weil sie nach dem Tod von einem Blitz, der über einen Meter in die Erde eindrang, verkohlt wurde. Auch sie findet man in sitzender Haltung. Verbrannt sind ihre äußeren Tuniken, Teile ihres Körpers und Gesichts, doch die weißen Zähne sind deutlich zu sehen. Bei ihr ist die Drogenkonzentration geringer, was auf ihren niedrigeren Status oder auf das Alter zurückzuführen sein könnte. Sie scheint weniger grob behandelt worden zu sein als der Junge, doch nicht mit der gleichen Sorgfalt wie ihre Halbschwester. „El Niño“, der 7-jährige Junge, war gefesselt, als er anscheinend auf dem Weg zum Gipfel unter Stress starb. Vermutlich an Ersticken, da Blut und Erbrochenes auf seiner Kleidung gefunden wurden.
Während andere Copacocha-Opferstätten Gewalt, wie Schädelverletzungen zeigen, sind diese Mädchen wohl friedlich eingeschlafen. Opfergaben für die Götter, Gegenstände mit ritueller Bedeutung und geschlechtsspezifische Beigaben, z.B. eine Steinschleuder und Lamafiguren bei dem Jungen, sind in verschiedenen Vitrinen ausgestellt, ebenso Tuniken, Sandalen für den Weg ins Reich der Ahnen. Auch Nahrung hat man in den Gräbern vorgefunden. Das gesamte Arrangement deutet darauf hin, dass alles um 1500 auf höchster politischer Ebene vorbereitet und vollzogen wurde. Stachelaustern, von der Küste hergebracht und wertvoller als Gold, die wertvolle Kleidung, Coca-Blätter, waren nur der höchsten Gesellschaftsschicht verfügbar. Der weiße Federschmuck (aus dem Amazonasbecken) der Doncella hatte bei den Inkas einen besonderen Stellenwert, und nur Adeligen und religiösen Zeremonien vorbehalten. Das deutet darauf hin, dass die 15-jährige im Alter von 10 Jahren ausgewählt und geheiligt wurde, um jungfräulich mit Mädchen, die ebenfalls geopfert werden sollten, Priesterinnen und königlichen Frauen aufzuwachsen.
Während einige indigene Völker die Forschungen unterstützen, lehnen andere diese „Entweihung“ und „Ausstellung“ der Kinder vehement ab. Um eine „gute Beziehung“ zum indigenen Volk zu haben, verzichtet man darauf, die Mumien aus weiteren ca. 40 Grabstätten in diesem Gebiet zu entfernen. Da Fotos im Museum verboten sind, und ich eigentlich mit diesem Foto aus dem Katalog des Museums urheberrechtlich auf unsicherem Boden stehe, verweise ich bei Interesse auf den folgenden Link:
oder
http://www.culturademontania.org.ar/Arqueologia/ARQ_ninos_llullaillaco_salta_072011.htm
Nun verlassen wir Salta mit seiner hügeligen Umgebung am Fuß der Andenkordillere. Ein Gewitter sorgt für deutlich niedrigere Temperaturen, über die wir nicht unglücklich sind. Grün sind die Hänge und bis zum Gipfel mit riesigen Kandelaberkakteen bewachsen. Diese Naturwunder und „Lebenskünstler“ werden bis zu 8 m hoch und haben eine Oberflächenstruktur, die den Wasserverlust sensationell gering hält.
Allmählich macht sich die dünne Luft durch leichten Kopfdruck bemerkbar. Wir brauen diesen grässlichen Tee, der bei Höhenproblemen helfen soll. Doch allein schon der Geruch löst bei mir einen Würgereiz aus. Auf 3720 m erreichen wir San Antonio de los Cobres. Hier wollten wir uns eigentlich akklimatisieren, doch diese schmucklose Bergbausiedlung ist so hässlich, dass nur der Tank (1 Liter Diesel für 1 Euro) gefüllt wird und wir uns ein schöneres Übernachtungsplätzchen suchen. Der „Tren a las Nubes“, der „Zug in die Wolken“, eine Touristenattraktion, kommt uns entgegen. Den Namen bekam er, weil oft die Wolken bei der Fahrt über die Brücken unterhalb zu sehen sind. Davon gibt es 29, 21 Tunnel und 19 Viadukte, von denen das spektakulärste, La Polvorilla, auf 4200 m Höhe mit 224 m Länge überquert wird. In schwindelerregender Höhe scheut sicher so mancher Fahrgast den Blick in 70 m Tiefe. Wir schauen hinauf und bestaunen diese technische Meisterleistung. Die folgende unruhige Nacht unterhalb des Viadukts macht deutlich, dass wir doch noch nicht ganz akklimatisiert sind. Vielleicht doch zu viele Höhenmeter gewagt? Der Griff zu Sauerstoff-Kartusche und Kopfschmerztabletten ist notwendig.
Bevor wir uns auf der RN 51 auf 4560 m hinaufkämpfen, verbringen wir einen gemütlichen Tag in tieferer Region an einem gurgelnden Bach mit viel Ruhe, viel Trinken und dem Verzicht auf das abendliche Gläschen Wein. Wir beobachten LKW – von weitem als Staubwolke sichtbar – wie sie über die Wellblechpiste donnern. Zu denken gibt uns nicht der Staub, mit dem sie uns einhüllen werden, sondern aufspritzende Steine, die die Windschutzscheibe beschädigen könnten.
In der Frühe starten wir, um die kühlen Morgenstunden zu nutzen. Es ist Sonntag. Nur wenige LKW nehmen uns die Sicht mit ihrer Staubwolke. Das Wellblech ist übel, rüttelt uns durch. Wir switchen von einer Pistenseite zur anderen auf der Suche nach der besten Fahrspur. Dem ersten schneebedeckten Vulkan, dem 6100 m hohe Nevado Queva, kommen wir näher. Die scheuen Vicuñas nehmen Reißaus, sobald sie uns sichten, und beäugen uns aus sicherer Entfernung.
Immer wieder überqueren wir die Bahnlinie, auf der der Zug mit 35 km/h durch die Weite der Puna unterwegs ist. Die üble Piste lässt uns lange nicht so „schnell“ vorankommen. Für 70 km brauchen wir 5 ½ Stunden!
Wir verlassen die LKW-Strecke, fahren durch eine surreale Mondlandschaft: die „Los Colorados“, die sieben Kurven („Siete Curvas“) hinauf, von denen sich beeindruckende Blicke in das Tal „Desierto del Diablo“ – Teufelswüste – eröffnen. In dieser „Kaltwüste“ auf 3700 m, die mit der Wüste Gobi vergleichbar ist, herrschen im Winter Temperaturen bis – 30°C. Vulkane mit ihren schneebedeckten Gipfeln leuchten vor tiefblauem Himmel. Ab 4000 m wächst nur noch das harte spitze Büschelgras, das sich jetzt im Herbst wie ein gelbes Blütenmeer zeigt.
Vorbei am strahlend weißen Salzsee Tolar Grande erreichen wir unter einem bedrohlich wirkenden Himmel und fernem Donnergrollen den gleichnamigen Ort. Über dem kleinen, einfachen, doch gepflegten Dorf liegt eine himmlische Ruhe. Der unvermeidliche Fußballplatz fehlt auch nicht. Ein fussballfanatischer Argentinier spielt auch auf der Salzkruste. Hier, in dieser staubtrockenen Puna, herrscht eine Luftfeuchtigkeit von 20-23%, was zu trockenen Augen und häufigen Niesattacken führt. Die noch an den Winter gewöhnte Haut verlangt nach einem hohen Lichtschutzfaktor.
Auf den 75 km salzverkrusteter Piste durch die drittgrößte Salzwüste in den Anden, dem Salar de Arizaro, kommt uns kein Auto entgegen. Kein Lebewesen scheint hier in dieser unwirtlichen Gegend überleben zu können. Von weitem sichtbar ist ein nahezu perfekter Kegel, der sich am Rande dieser Salzwüste erhebt, der Cono de Arita. Von der weiteren Strecke erhoffen wir ein besseres Vorankommen. Doch der kommende Streckenabschnitt ist technisch und nervlich das Anspruchsvollste, was wir bisher gefahren sind. Hier, fernab von menschlichen Siedlungen, in der hochgelegenen Wüstenlandschaft der Puna, kommen wir nur im Schneckentempo voran. Hinauf geht es auf ein weiteres Hochplateau. Sandig, steinig, mit Wellblech der übelsten Sorte. Die kurvenreiche Strecke steigt stetig an, auch Huskys Öl- und Wassertemperatur. Um diese im grünen Bereich zu halten, wendet Stephan seine altbewährte Methode an, mit Holzkeil und Gurt die Motorhaube offen zu halten (er sagt: „für Insider: alter NSU TT – Trick“). Zwei Augenpaare richten sich konzentriert auf die schwarz glänzenden, scharfkantigen Lavasteine, die mehrmals aus dem Weg geräumt werden müssen. Nach dem Überqueren des Salar de Antofalla windet sich die Piste über das nächste Gebirge. Wieder eine Herausforderung! Mehrmals flehe ich den Husky an, durchzuhalten. Und bitte, bitte kein Gegenverkehr! Ohne Untersetzung bergauf keine Chance. Dann dieser Blick in die Tiefe – oh mein Gott! Schöne Blicke zurück auf den Salzsee entschädigen für die Strapaze. Ein weiterer Blick auf die Strecke, die wir an diesem Tag gemeistert haben.
Kaum haben wir die Schinderei hinter uns, taucht urplötzlich ein wunderschönes weitläufiges Feuchtgebiet auf, das seit Millionen von Jahren von Grundwasser gespeist wird. Auf der Hochebene und auf dem Weg entlang des Río Calalaste begegnen wir Hunderten der nicht domestizierbaren Vicuñas. Sie stehen unter Naturschutz, aber aufgrund des dichten Fells werden sie von Wilderern gejagt. Was für uns eine Augenweide ist, muss ein Paradies für die hier lebenden Tiere sein. Viele gurgelnde Bächle sorgen für üppiges Grün, an dem sich Lamas, Vicuñas, große Vögel – für die auch Frösche zur Verfügung stehen – laben. Ab Antofagasta geht es weiter auf gut asphaltierter Straße nach El Peñón. Was für eine Erholung für uns und unser Gefährt! Viele schöne Blicke auf schneebedeckte Vulkane und Lagunen ergeben sich.
Jetzt ist Entspannung angesagt, die wir in einer Therme nahe dem kleinen Dorf Villa Vil bei 36 Grad Wassertemperatur genießen. Ebenso das Abendessen mit andiner Kost in sehr einfachem und freundlichem Ambiente. Empanadas (Teigtaschen) gefüllt mit Schinken und Käse, bzw. Hühner- und Rindfleisch, mit Gemüse, Quinoa und Kümmel. Und diese Kroketten – ein Genuss! Mehr als satt sind wir nach dem letzten Gang, einer Art Osobuco, und einem Salat mit Quinoa. Für ein andines Dessert gibt es keinen Platz mehr in unseren überfüllten Mägen.
Nach anderthalb Wochen kommen wir aus der staubtrockenen Puna zurück auf 1800 m. Faszinierend auf dem Weg die Felsformationen des „Puerto Viejo, des „Schiffsfriedhofs“. Das Wetter verändert sich. Jetzt im März steht der Herbst vor der Tür, die Anzeichen sind unübersehbar. Das Laub der Bäume verfärbt sich, wird lichter, gelbe Blätter wirbeln durch die Luft, die braune Landschaft wird grün, von 23% steigt die Luftfeuchtigkeit hier „unten“ auf 66%.
Von den heftigen Regenfällen in den letzten Tagen – am Ende der Regenzeit – bleiben uns nur leichter Nieselregen, die überspülten Straßen, braune reißende Flüsse und ländliche Dörfer, die schier im Schlamm versinken. Dank Allrad stehen wir nicht lange in einem Stau, der auf Räumfahrzeuge wartet.
Die teilweise restaurierten Überreste der Befestigungsanlage der Inkas „Quilmes“, die ursprünglich im 11. Jd. von den Quilmes-Indianern erbaut und erst 1667 von den Spaniern erobert werden konnte, liegen malerisch an einem Berghang.
Auf der schon vor 2 Jahren gefahrenen Strecke beeindrucken uns wieder die rostroten Gesteinsformationen der Quebrada de Cafayate und die Akustik im „Anfiteatro“.
Gemächlich passieren wir ärmliche Behausungen, die Weinbaugebiete in Tucumán und Cafayate, die zu den höchstgelegenen der Welt zählen, die Villen der Wein- und Tabakbarone und beobachten schuftende Tabakarbeiter bei der Ernte.
An einer YPF-Tankstelle sieht der Tankwart, wie ich schreibe, und fragt Stephan, ob ich Schriftstellerin sei. Der zeigt ihm die Website, und ich freue mich über seine Begeisterung, mehr über sein Land erfahren zu können. Seinem Wunsch, ihn mit seinen Kollegen zu fotografieren und dieses Foto in den Bericht einzubauen, kommen wir gerne nach.
Am Ende der Puna-Runde machen wir erneut in Salta Halt, um uns auf die nächste (und letzte) Nordargentinien-Etappe vor der Grenze zu Bolivien vorzubereiten. Obwohl weit weg vom Krieg in Osteuropa, beschäftigt uns die dortige Situation, die wir wegen eingeschränkten Internetzugangs nur bedingt verfolgen können.
Je nördlicher wir kommen, desto mehr tauchen wir in die Welt der Indígenas ein. Die Quebrada de Huamhuaca (argentinisches jüngstes Weltkulturerbe, 2009), eine grüne Talenge von 130 km, bezeichnet man als Schlucht der Farben. Für uns weit weniger attraktiv und spektakulär, als im Reiseführer beschrieben. Trist und bescheiden sind die Siedlungen in dieser Region. Exotisch und farbenfroh wirkt hingegen der indigene Markt in Humahuaca, der sich durch viele Gassen zieht. Unübersehbar ist das riesige Monument der Unabhängigkeit im Zentrum. Schön anzusehen sind die bunt gekleideten Frauen mit teils Kleinkindern auf den Rücken und ihren dicken, schwarz glänzenden Zöpfen.
Auch vom Blick auf die Sierra Hornocal, die Berge der 14 Farben, sind wir etwas enttäuscht. Vielleicht sind wir inzwischen zu verwöhnt, bei all dem Schönen und Beeindruckenden, das wir abseits der üblichen Touristenrouten bisher entdeckt haben.
Abenteuerlich windet sich die 40 km lange Piste hinauf über den 4000 m hohen Pass Abra del Condor. Dann über 42 Serpentinen hinunter auf 2780 m in das kleine und bescheidene Dorf Iruya. Eingerahmt von mächtigen Felswänden liegt es an einem Berghang am Ende einer tiefen Schlucht. Nicht die Höhe bringt uns außer Atem, sondern die steingepflasterten Gässchen, die sich steil den Hang hinaufziehen. Auf der Fahrt die Serpentinen wieder hinauf kommen auf Stephan mehrere Ausweichmanöver zu. Spucken diese Touristenbusse außerhalb des Dorfs ihre Fracht aus, ist es dort vorbei mit der idyllischen Ruhe.
Unbeschreiblich schön ist der Blick hinunter ins „Mondtal“ Valle de la Luna. Ein von der Natur meisterhaft geschaffenes Aquarell in rot-weißer Farbharmonie!
Unzählige domestizierte Lamas, mit Schleifchen markiert, bevölkern die Berghänge, und sind unsere einzigen Begleiter auf dem Weg in das verschlafene Cusi Cusi. Viele Flussdurchfahrten sorgen immer wieder für einen sauberen Unterboden.
Um zur Laguna de Vilama auf 4500 m zu gelangen, müssen wir uns in Lagunillas de Farallón registrieren lassen. Etwas nachdenklich stimmt uns der Hinweis, dass man am Folgetag nach uns sehen wird. Um für die Höhe gewappnet zu sein, bunkern wir Coca-Blätter für den Tee. Prophylaktisch welche zu kauen kann nicht schaden. Trotzdem helfen sie uns nicht, diese Strecke zu meistern. Schon vor Beginn der steil ansteigenden Serpentinen wird uns mulmig. Tief ausgewaschene Rinnen und Löcher in Kombination mit Wackersteinen! Diese Schinderei ersparen wir uns, vor allem dem Husky. Schließlich liegen noch einige Tausend Kilometer vor uns.
Und immer wieder kreuzen sich die Wege der Overlander. Dieses Mal sind es Marco und Eva mit ihrem sonnengelben, unübersehbaren MAN. Wie ein Spielzeug wirkt unser Husky dagegen. Die Männer versuchen den Brenner unseres Kühlschranks auszubauen, ein Unterfangen, das erst nach Stunden von Erfolg gekrönt ist. Mit Pressluft gesäubert, sollte er wieder für eine längere Zeit funktionieren. Auch für uns sind es nur noch 120 km bis zur bolivianischen Grenze. Doch wir beschließen einen weiteren Tag – aus dem letztendlich 3 Tage werden – diese Idylle zu genießen.
Bunte Bergketten, kleine indigene Siedlungen, wie ausgestorben, ziehen an uns vorbei. Ein herrlicher Sonnentag erwartet uns im Naturreservat der Laguna de los Pozuelos.